Urteil
Betriebliches Eingliederungsmanagement und Interessenabwägung im Kündigungsschutzprozess

Gericht:

LAG Berlin-Brandenburg 17. Kammer


Aktenzeichen:

17 Sa 1605/18


Urteil vom:

27.02.2019


Grundlage:

Leitsatz:

Führt der Arbeitgeber vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung ein betriebliches Eingliederungsmanagement (§ 167 Abs. 2 SGB IX) nicht durch, geht dies bei der Interessenabwägung nicht zu seinen Lasten, wenn der Arbeitnehmer sich an dem betrieblichen Eingliederungsmanagement ohnehin nicht beteiligt hätte.

Rechtsweg:

ArbG Eberswalde, Urteil vom 14.08.2018 - 2 Ca 130/18

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Berlin

Tenor:

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Eberswalde vom 14. August 2018 - 2 Ca 130/18 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten in dem Berufungsverfahren über die Wirksamkeit einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung sowie über einen Auflösungsantrag des Klägers.

Das Arbeitsgericht hat die Klage durch ein am 14.08.2018 verkündetes Urteil abgewiesen. Die - mit Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochene - Kündigung sei durch Gründe bedingt, die in der Person des Klägers liegen und damit sozial gerechtfertigt. Der Kläger sei im Zeitpunkt der Kündigung mehr als dreieinhalb Jahre arbeitsunfähig gewesen, ohne dass eine positive Änderung seines Gesundheitszustands abzusehen sei. Der Kläger sei daher auf unabsehbare Zeit nicht in der Lage, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Die Annahme des Klägers, die Beklagte könne kurzfristig die Voraussetzungen dafür schaffen, dass er seine Arbeitsfähigkeit wiedererlange, sei unberechtigt. Es könne nicht angenommen werden, dass die Beklagte und insbesondere deren Geschäftsführer die psychischen Beeinträchtigungen des Klägers verursacht habe; auch könne der Kläger nicht fordern, keinen Kontakt zum Geschäftsführer zu haben. Vielmehr habe der Kläger seit langer Zeit und bis zum Ausspruch der Kündigung jeden Kontakt zu der Beklagten gemieden und dieses Verhalten - mit Ausnahme einer Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht - auch nach der Kündigung fortgesetzt. Die anzunehmende dauernde Leistungsunfähigkeit des Klägers führe zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Belange der Beklagten, die diese auch nach einer Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht mehr hinnehmen müsse. Der Beklagte könne in diesem Zusammenhang nicht vorgeworfen werden, vor Ausspruch der Kündigung kein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchgeführt zu haben. Die Beklagte sei mit Recht davon ausgegangen, dass der Kläger einer diesbezüglichen Einladung ohnehin nicht gefolgt wäre; eine Einladung zu einem BEM sei bei dieser Sachlage entbehrlich. Der Auflösungsantrag sei schon deshalb zurückzuweisen, weil die Kündigung das Arbeitsverhältnis beendet habe. Wegen der weiteren Einzelheiten und der Begründung sowie des erstinstanzlichen Sachverhalts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen dieses ihm am 28.08.2018 zugestellte Urteil richtet sich die am 06.09.2018 eingelegte Berufung des Klägers, die er mit einem am 04.10.2018 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

Der Kläger hält seine Klage weiterhin für begründet. Die streitbefangene Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam. Eine dauerhafte Leistungsunfähigkeit liege nicht vor. So hinderten ihn der - durch einen Arbeitsunfall verursachten - Verlust eines Großteils seines linken Daumens sowie seine Asthmaerkrankung nicht daran, erneut für die Beklagte - als Anlagenbediener, in der Gütekontrolle, im Restholzverkauf, als Holzqualitätsgutachter, als Schlosser oder auch im Büro - tätig zu werden. Die bei ihm vorhandene psychische Beeinträchtigung, die ihn an einer Arbeitsaufnahme hinderten, seien von der Beklagten verursacht worden und könnten von ihr ohne weiteres beseitigt werden. So habe die Beklagte ihm trotz einer langen Betriebszugehörigkeit und dem erlittenen Arbeitsunfall aus nichtigen Anlässen zwei unberechtigte Abmahnungen erteilt. Ferner sei der Geschäftsführer der Beklagten Herr R. nahezu wöchentlich bei ihm erschienen, um ihm die Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorzuwerfen; er habe ihm zudem vorgeworfen, "einen auf Rentner" zu machen. Dies habe bei ihm - dem Kläger - zu einer erheblichen psychischen Blockade und der derzeitigen Erkrankung geführt. Herr R. müsse sich lediglich bei ihm entschuldigen oder ein klärendes Gespräch führen, dann wäre eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zeitnah möglich gewesen und sei auch weiterhin möglich. Jedenfalls müsse die vorzunehmende Interessenabwägung zu seinen Gunsten ausgehen, weil er seit langer Zeit bei der Beklagten beschäftigt gewesen sei, einen Arbeitsunfall mit schwerwiegenden Folgen erlitten habe, sich jederzeit für die Belange der Beklagten eingesetzt habe und die Störung des Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte zurückzuführen sei. Das Arbeitsgericht habe auch zu Unrecht und entgegen einer zunächst geäußerten Auffassung angenommen, die Beklagte habe ein BEM nicht durchführen müssen. Dieses Verfahren hätte mit einiger Wahrscheinlichkeit die streitbefangene Kündigung vermieden.


Der Kläger beantragt,

unter Änderung des Urteils des Arbeitsgerichts Eberswalde vom 14.08.2018 - 2 Ca 130/18 -

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.01.2018 nicht aufgelöst worden ist,

2. das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die aber 20.000,00 EUR nicht unterschreiten sollte, aufgelöst.


Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Die Kündigung sei wegen einer langandauernden Arbeitsunfähigkeit, deren Ende nicht absehbar gewesen sei, ausgesprochen worden. Sie - die Beklagte - habe die psychischen Beeinträchtigungen des Klägers nicht verursacht; sie habe vielmehr mehrfach versucht, mit dem Kläger in Kontakt zu kommen und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Für eine Entschuldigung ihres Geschäftsführers bei dem Kläger bestehe keine Veranlassung.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze vom 04.10. und 22.11.2018 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die streitbefangene Kündigung zum 31.08.2018 aufgelöst worden; eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung kam bei dieser Sachlage nicht in Betracht. Das Arbeitsgericht hat die Klage daher zu Recht abgewiesen.

1. Die Kündigung ist nicht gemäß § 1 Abs. 1, 2 KSchG sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam. Sie ist durch Gründe bedingt, die in der Person des Klägers liegen.

a) Die soziale Rechtfertigung von Kündigungen, die aus Anlass von Krankheiten ausgesprochen werden, ist in drei Stufen zu prüfen. Eine Kündigung ist im Falle einer lang anhaltenden Krankheit sozial gerechtfertigt i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG, wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt - erste Stufe -​, eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist - zweite Stufe - und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen - dritte Stufe - (BAG vom 13.05.2015 - 2 AZR 565/14 - AP Nr. 54 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, m.w.N.).

b) Der Kläger ist seit dem 07.07.2014 und damit im Zeitpunkt der streitbefangenen Kündigung seit ca. dreieinhalb Jahren und damit langandauernd arbeitsunfähig erkrankt. Diese langandauernde Erkrankung in der Vergangenheit begründete eine Indizwirkung für einen Fortdauer der Erkrankung und damit für eine negative Gesundheitsprognose. Der Kläger hat diese Indizwirkung nicht in erheblicher Weise entkräftet. Die der Arbeitsunfähigkeit zugrunde liegenden psychischen Beeinträchtigungen dauern an, ohne dass ein Ende absehbar ist. So hat der Kläger nicht angegeben, ob und ggf. in welcher ärztlichen Behandlung er sich befindet und aufgrund welcher Therapie angenommen werden kann, dass sich sein Gesundheitszustand bessern würde. Er hat sich nicht in der Lage gesehen, den von dem Integrationsamt im Zusammenhang mit dem vorliegenden Kündigungsverfahren anberaumten Termin wahrzunehmen und an der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer teilzunehmen, weil er dort mit dem Geschäftsführer der Beklagten Herrn R. zusammentreffen würde. Die letzte Stellungnahme der Fachärztin des Klägers Frau F. bestätigt ebenfalls, dass der Kläger eine Arbeit bei der Beklagten aus psychischen Gründen nicht aufnehmen kann. Die Annahme des Klägers, der Geschäftsführer der Beklagten müsse sich zur baldigen Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit lediglich bei ihm entschuldigen und das Gespräch mit ihm suchen, ist durch objektive Befunde nicht belegt. Auch hat die Beklagte in der Vergangenheit mehrfach versucht, mit dem Kläger die gesundheitliche Situation zu erörtern, worauf dieser jedoch letztlich nicht eingegangen ist. Dass eine Entschuldigung des Geschäftsführers bei dem Kläger zu einer Besserung der gesundheitlichen Situation führen würde, ist ebenfalls völlig offen, kann aber letztlich dahinstehen; denn der Geschäftsführer der Beklagten hat es abgelehnt, sich bei dem Kläger zu entschuldigen. Bei dieser Sachlage muss angenommen werden, dass im Zeitpunkt der Kündigung ein Ende der bereits lang andauernden Arbeitsunfähigkeit nicht absehbar war.

c) Das Arbeitsgericht hat ferner zu Recht angenommen, der Kläger sei im Zeitpunkt der Kündigung dauerhaft leistungsunfähig gewesen, weshalb von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen war. Die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit steht einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit dabei gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden kann (vgl. hierzu BAG vom 30.09.2010 - 2 AZR 88/09 - AP Nr. 49 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, Rdnr. 11). Eine derartige Sachverhaltsgestaltung ist im vorliegenden Fall gegeben. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer waren seit der Kündigung bereits mehr als ein Jahr vergangen, ohne dass sich die psychischen Beeinträchtigungen des Klägers geändert hatten und ohne dass - wie ausgeführt - eine Besserung seiner Gesundheit erwartet werden konnte. Es spricht mit anderen Worten derzeit nichts dafür, dass der Kläger wieder in der Lage sein wird, den Betrieb der Beklagten zu betreten und dort wieder - mit welchen Aufgaben auch immer - für die Beklagte tätig zu sein.

d) Bei einer Abwägung der beiderseitigen Interessen überwiegt letztlich das Interesse der Beklagten, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Sie kann nicht mehr damit rechnen, dass das Arbeitsverhältnis noch einmal durchgeführt wird; es ist mit anderen Worten sinnentleert. Ein schützenswertes Interesse des Klägers, dieses auf Dauer sinnlose Arbeitsverhältnis aufrecht zu erhalten, besteht bei dieser Sachlage trotz der vom Kläger zurückgelegten langen Beschäftigungszeit nicht. Es kann auch nicht zugunsten des Klägers angenommen werden, die Beklagte habe seine Arbeitsunfähigkeit verursacht und sei deshalb zu einer besonderen Rücksichtnahme und zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verpflichtet. Die Beklagte mag in der Vergangenheit zwei unberechtigte Abmahnungen erteilt haben; auch kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, Herr R. habe ihm die Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorgehalten und unterstellt, er - der Kläger - wolle in den Ruhestand treten. Diese Umstände mögen geeignet sein, die Motivation des Klägers und das persönliche Verhältnis zu Herrn R. zu verschlechtern. Wenn durch sie die psychische Erkrankung des Klägers hervorgerufen wurde, so liegt dies jedoch an einer entsprechenden Disposition des Klägers und kann der Beklagten nicht vorgeworfen werden. Die Beklagte muss sich auch nicht entgegenhalten lassen, ihr Geschäftsführer der Beklagten hätte sich vor Ausspruch der Kündigung bei dem Kläger entschuldigen können, so dass hätte festgestellt werden können, ob sich hierdurch der Gesundheitszustand des Klägers bessern würde und von einer Kündigung abgesehen werden könnte. Der Geschäftsführer der Beklagten war nicht verpflichtet, sich für ein Verhalten zu entschuldigen, das er selbst nicht als pflichtwidrig und den Kläger belastend ansah. Dies gilt umso mehr, als völlig offen ist, ob die Selbsteinschätzung des Klägers, eine Entschuldigung welcher Art auch immer würde zum Ende der Arbeitsunfähigkeit führen, zutrifft. Schließlich kann der Beklagten im Rahmen der Interessenabwägung nicht zum Nachteil gereichen, dass sie vor Ausspruch der Kündigung ein BEM nicht durchgeführt hat. Zwar kann dem Arbeitgeber, der dieses Verfahren entgegen § 167 Abs. 2 SGB IX nicht durchführt, regelmäßig vorgehalten werden, es hätten mildere Mittel als die Kündigung zur Verfügung gestanden, um auf die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zu reagieren. Die gleichwohl ausgesprochene Kündigung ist dann unverhältnismäßig und damit sozial ungerechtfertigt, es sei denn der Arbeitgeber kann darlegen und ggf. beweisen, dass ein BEM nutzlos geblieben wäre (vgl. hierzu nur BAG vom 13.05.2015 - 2 AZR 565/14 - AP Nr. 54 zu §1 KSchG 1969 Krankheit). Im vorliegenden Fall ist es jedoch unschädlich, dass das genannte Präventionsverfahren von der Beklagten nicht eingeleitet wurde. Ein BEM findet gemäß § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nur mit Zustimmung und Beteiligung des betroffenen Arbeitnehmers statt, d.h., ohne das Einverständnis des Arbeitnehmers kann nicht geklärt werden, ob und auf welche Weise auf die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers reagiert und ob von einer Kündigung Abstand genommen werden kann. Die Beklagte ist dabei zu Recht davon ausgegangen, der Kläger hätte einer Einladung, sich an einem BEM zu beteiligen, keine Folge geleistet. So hatte sich der Kläger schon zuvor gegenüber der Beklagten nicht inhaltlich zu seinem Gesundheitszustand geäußert. Er hat es ferner abgelehnt, im Betrieb der Beklagten zu erscheinen, weil er dort auf den Geschäftsführer Herrn R. treffen könnte. Selbst der Einladung des Integrationsamtes, im Zusammenhang mit der geplanten Kündigung zu einem Gespräch zu erscheinen, hat der Kläger keine Folge geleistet, weil er das Betriebsgelände nicht betreten könne. Bei dieser Sachlage spricht nichts dafür, dass der Kläger einer Einladung der Beklagten zu einem BEM gefolgt wäre; eine derartige Einladung hat das Arbeitsgericht zu Recht als bloße Förmelei angesehen. Hätte ein BEM jedoch ohnehin nicht stattgefunden, kann sein Fehlen bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht zu Lasten der Beklagten gehen.

2. Eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG kam schon deshalb nicht in Betracht, weil das Arbeitsverhältnis - wie ausgeführt - durch die Kündigung vom 29.01.2018 aufgelöst worden ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision lagen nicht vor.

Referenznummer:

R/R8234


Informationsstand: 28.06.2019