Urteil
Personenbedingte Kündigung - Langzeiterkrankung - BEM-Verfahren

Gericht:

LAG Rheinland-Pfalz 8. Kammer


Aktenzeichen:

8 Sa 240/20


Urteil vom:

13.04.2021


Grundlage:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 28.07.2020, 4 Ca 1417/19, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Rechtsweg:

ArbG Ludwigshafen, Urteil vom 28.07.2020 - 4 Ca 1417/19

Quelle:

Landesrecht Rheinland-Pfalz

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung, die aus personenbedingten Gründen ausgesprochen wurde.

Der 1987 geborene Kläger ist seit Juni 2008 bei der Beklagten als kaufmännischer Angestellter beschäftigt, zuletzt zu einem Bruttomonatsgehalt von 4.500,- EUR. Von 2005 bis 2008 absolvierte er eine Ausbildung bei der Beklagten. Die Beklagte beschäftigt mehr als zehn Arbeitnehmer.

2016 fehlte der Kläger an 20 Tagen, in 2017 an 52 Kalendertagen krankheitsbedingt. Die Beklagte zahlte an den Kläger im Jahr 2017 Entgeltfortzahlung in Höhe von 6.329,53 EUR.

2018 fehlte der Kläger krankheitsbedingt an insgesamt 191 Tagen, ab dem 03.07.2018 war er durchgehend arbeitsunfähig erkrankt bis zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung. Der Kläger litt zu diesem Zeitpunkt an einer psychischen Erkrankung.

Am 22.05.2019 führten die Parteien ein Fehlzeitengespräch. Der Kläger erklärte hierbei, dass er an einer Knieverletzung und einer weiteren Krankheit leide, auf der die Fehlzeiten seit dem 03.07.2018 beruhten, deren Diagnose er jedoch in dem Gespräch nicht benannte. Er teilte auch mit, dass eine Knie-OP anstehe mit anschließender Fehlzeit von zwei Wochen, und dass ein Termin hierfür noch nicht bekannt sei.

Ein weiteres Gespräch zwischen den Parteien fand im August 2019 statt. Es handelte sich um ein "Kennenlern-Gespräch" mit dem neuen Vorgesetzten des Klägers. Hierbei teilte der Kläger erneut mit, dass er am Knie operiert werden müsse, was erneute Fehlzeiten auslösen werde. Im Nachgang dieses Gesprächs, ebenfalls im August 2019, teilte der Kläger telefonisch den ihm zwischenzeitlich bekannt gegebenen OP-Termin mit.

Die Einzelheiten dieser Gespräche im August 2019 sind zwischen den Parteien streitig.

Der Kläger reichte im Nachgang der Gespräche weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein (Folgebescheinigungen bis 13.09.2019 vom 13.09.2019 bis 04.10.2019, Erstbescheinigung ab dem 26.09.2019).

Für den 17.10.2019 wurde ein Termin zum Vorgespräch anlässlich einer Wiedereingliederung vereinbart.

Bei der Beklagten besteht ein Betriebsrat. Diesen hörte die Beklagte unter dem 11.09.2019 zur beabsichtigten Kündigung an. Auf den zur Akte gereichten Anhörungsbogen wird Bezug genommen.

Nachdem der Betriebsrat am 18.09.2020 Stellung genommen hatte, sprach die Beklagte am 19.09.2019 die streitgegenständliche Kündigung zum 29.02.2019 aus, welche dem Kläger am 24.09.2019 zuging.

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Er trägt vor, es fehle bereits an einer negativen Prognose. Die psychische Erkrankung sei seit 01.09.2019 ausgeheilt, seitdem sei er nicht mehr wegen dieser Erkrankung arbeitsunfähig. In dem Telefonat mit dem Vorgesetzten im August 2019 habe dieser ihm angeraten, sich bis zur Knie-OP weiter krankschrieben zu lassen, da eine Wiedereingliederung erst nach der Knie-OP und den dadurch veranlassten neuen Fehlzeiten sinnvoll erscheine. Mit weitere Krankheitszeiten sei nach der Knie-OP - auch aus der zeitlichen Perspektive des Kündigungszeitpunkts- nicht zu rechnen gewesen.

Die Betriebsratsanhörung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Dem Betriebsrat hätte mitgeteilt werden müssen, dass der Kläger im August 2019 angegeben hat, ab September nicht mehr wegen der Langzeiterkrankung, nur noch kurzzeitig wegen der Knie-OP, arbeitsunfähig zu sein. Die Beklagte habe gewusst, ab wann mit einer Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit zu rechnen gewesen sei. Dies hätte sie offenlegen müssen.

Schließlich habe sie den Kläger nie, auch nicht im Jahr 2017, zu einem BEM eingeladen. Ein solches BEM wäre nicht entbehrlich, sondern erfolgsversprechend gewesen. Da ein BEM vor Ausspruch der Kündigung nicht (erneut) eingeleitet wurde, sei die Kündigung bereits aus diesem Grunde unwirksam.


Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die mit Schreiben der Beklagten vom 19.09.2019, zugegangen am 24.09.2019, ausgesprochene ordentliche Kündigung zum 19.02.2020 nicht aufgelöst ist,

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zur rechtskräftigen Entscheidung dieses Rechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen als kaufmännischer Angestellter weiterzubeschäftigen.


Die Beklagte hat erstinstanzlich Klageabweisung beantragt.

Mit Urteil vom 28.07.2020 hat das Arbeitsgericht Ludwigshafen der Klage stattgegeben.

Zur Begründung hat das Gericht - zusammengefasst - ausgeführt: Die Voraussetzungen einer sozialen Rechtfertigung der Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG seien nicht gegeben. Im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung im September 2019 habe (noch) kein prognosefähiger Zeitraum vorgelegen, welcher der Beklagten die Feststellung zukünftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses mit hinreichender Sicherheit ermöglicht hätte. Von einer langanhaltenden Erkrankung, die einer Dauererkrankung gleichgestellt werden könne, sei in der Regel auszugehen, wenn der Arbeitnehmer 18 Monate erkrankt und ein Ende der Erkrankung nicht abzusehen sei. Nach erst 14-monatiger Arbeitsunfähigkeit sei der regelmäßig als prognosebegründend anzusehende Zeitraum von 18 Monaten gerade nicht erreicht. Weswegen im vorliegenden Fall ein Einzelfall gegeben sein sollte, bei dem eine kürzere Zeitdauer ausgereicht hätte, habe die Beklagte nicht vorgetragen. Vielmehr habe es erhebliche Anhaltspunkte dazu gegeben, dass eine Arbeitsfähigkeit zeitnah wiedererlangt werden könne. Hierfür spreche insbesondere die bereits vereinbarte Wiedereingliederungsmaßnahme.

Zudem können nicht ausgeschlossen werden, dass sich im Rahmen eines BEM Möglichkeiten aufgezeigt hätten, den Arbeitsplatz des Klägers leidensgerecht umzugestalten. Die Kündigung sei im Hinblick darauf auch unverhältnismäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Gegen das ihr am 07.08.2020 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte mit am 24.08.2020 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangen Schriftsatz Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 06.10.2020, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangen am 07.10.2020, wurde die Berufung begründet.

Zur Begründung der Berufung trägt die Beklagte vor: Die seit 14 Monaten andauernde Arbeitsunfähigkeit und das In-Aussicht-Stellen weiterer Fehlzeiten rechtfertige entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts die negative Prognose. Das Gericht hätte berücksichtigen müssen, dass zwar während der Langzeiterkrankung von Juli 2018 bis August 2019 keine Entgeltfortzahlungskosten entstanden seien, dass aber im August 2019 weitere Ausfallzeiten und hiermit verbunden Entgeltfortzahlungsverpflichtungen für zwei bis drei Wochen entstanden wären. Sie habe auch deswegen von einer negativen Prognose ausgehen dürfen, da der Kläger im über den 01.09.2019 hinausreichende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt habe, und damit seinen eigenen Vortrag zur Genesung ab diesem Datum selbst widerlegt habe.

Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass der Kläger nicht willens gewesen sei, die Abteilung zu wechseln. Er habe selbst erklärt, er benötige Stabilität. Deswegen sei auch ein BEM entbehrlich gewesen, da es keinen Erfolg versprochen hätte. Die Fehlzeiten seien auch auf jedem anderen Arbeitsplatz des Klägers entstanden. 2017 habe man dem Kläger ein BEM angeboten, er habe dies aber abgelehnt. Dies bestätige die fehlenden Erfolgsaussichten einer solchen Maßnahme.


Die Beklagte und in hat beantragt:

das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 28.07.2020, Az 4 Ca 1417/19, abzuändern und die Klage kostenpflichtig abzuweisen.


Der Kläger und Berufungsbeklagte hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Verteidigung gegen die Berufung wiederholt und vertieft der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen und verteidigt im Übrigen die Entscheidung des Arbeitsgerichts.

Eine negative Prognose habe im Kündigungszeitpunkt nicht bestanden, da der Kläger nicht mehr wegen der psychischen Erkrankung arbeitsunfähig gewesen sei und das Knie-Leiden nach der OP auch zu keinen weiteren Fehlzeiten geführt hätte. Dies sei durch den Kläger kommuniziert und somit der Beklagten bekannt gewesen, was die Vereinbarung der Wiedereingliederung bestätige.

Die Beklagte hätte jedenfalls vor der Kündigung ein BEM anbieten müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

I. Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

II. In der Sache hatte die Berufung der Beklagten keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 15. August 2019 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht wirksam beendet. Sie ist nicht gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt.

1. Die Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung, die auf eine lang anhaltende Erkrankung gestützt wird, ist in drei Stufen vorzunehmen. Zunächst - erste Stufe - ist eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustands des erkrankten Arbeitnehmers erforderlich. Bezogen auf den Kündigungszeitpunkt und die bisher ausgeübte Tätigkeit müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis einer weiteren, längeren Erkrankung rechtfertigen. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen ferner - zweite Stufe - zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen. Schließlich muss - dritte Stufe - eine vorzunehmende Interessenabwägung ergeben, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen (BAG, Urteil vom 20. November 2014 - 2 AZR 664/13; Urt. v. 30.09.2010, 2 AZR 88/09; Urt. v. 12.07.2007, 2 AZR 716/06).

2. Es konnte offenbleiben, ob eine negative Prognose gegeben war. Eine lang andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in der unmittelbaren Vergangenheit stellt ein gewisses Indiz für die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit in der Zukunft dar. Der Arbeitgeber genügt deshalb seiner Darlegungslast für eine negative Prognose zunächst, wenn er die bisherige Dauer der Erkrankung und die ihm bekannten Krankheitsursachen vorträgt (BAG, Urt. v. 13.5.2015, 2 AZR 565/14). Wie auch das Arbeitsgericht ausgeführt hat, ist in der Regel dann von einer lang anhaltenden Erkrankung, die einer Dauererkrankung gleichgestellt werden kann, auszugehen, wenn der Arbeitnehmer etwa eineinhalb Jahre arbeitsunfähig und ein Ende der Erkrankung nicht abzusehen ist (ErfK/Oetker, 21. Aufl. 2021, KSchG § 1 Rn. 129). Diese Zeitspanne war im Vorfeld der Kündigung noch nicht abgelaufen.

Gleichwohl gibt das Gesetz keine Auskunft, ob und wenn ja, welche Zeit abzuwarten ist, bevor der Arbeitgeber berechtigt ist, das Arbeitsverhältnis sozial gerechtfertigt zu beenden. Es gibt keine "festen Abwartezeiten", sondern es ist auf die Besonderheiten des Einzelfalles abzustellen (ErfK/Oetker, 21. Aufl. 2021, KSchG § 1 Rn. 131, 134). Das Arbeitsgericht hat dargelegt, weswegen es in dem vorliegenden Einzelfall die vor Ausspruch der Kündigung liegende Erkrankungszeit als noch nicht ausreichend ansah.

Selbst wenn man aber entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts die Wartezeit vorliegend als genügend betrachten würde, würde sich die Kündigung aus anderen Gründen - der fehlenden Durchführung eines BEM- als unwirksam erweisen. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt. Daher war es nicht erforderlich, über die erforderliche Abwartezeit zu entscheiden und ggf. ein Sachverständigengutachten über die negative Gesundheitsprognose im Kündigungszeitpunkt einzuholen.

3. Die Kündigung erweist sich angesichts der Unterlassung eines BEM als nicht rechtswirksam.

a. Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176 SGB IV, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement).

b. Die Beklagte hat entgegen der Vorgaben des § 167 SGB IX ein BEM unterlassen.

Es war nicht Beweis über die Behauptung der Beklagten zu erheben, der Kläger sei im Jahr 2017 zu einem BEM eingeladen worden und habe diese Einladung nicht angenommen. Wäre dies der Fall gewesen, hätte dies die Beklagten dennoch nicht von ihrer Verpflichtung gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX entlastet, denn die Beklagte war jedenfalls verpflichtet, aufgrund der deutlich mehr als sechs Wochen andauernden Arbeitsunfähigkeit auch im Jahr 2019 dem Kläger vor Ausspruch der Kündigung wiederum ein BEM gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX anzubieten. Diese Verpflichtung trifft die Beklagte immer dann, wenn die im Gesetz angegebenen Arbeitsunfähigkeitszeiten erreicht sind. Dies folgt bereits zum einen aus dem Wortlaut des § 167 Abs. 2 SGB IX, und entspricht im Übrigen auch der gesetzgeberischen Intention, wie sie in der Bundestags-Drucksache 15/1783 zur Einführung des damaligen § 84 Abs. 2 SGB IX zum Ausdruck gekommen ist: Der Gesetzgeber hat dort ausdrücklich (Seiten 12 und 15) ausgeführt, dass "kurzfristig" Beschäftigungshindernisse überwunden und der Arbeitsplatz durch Leistungen und Hilfen erhalten werden solle. (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.01.2017, 8 Sa 359/16; LAG Hamm (Westfalen), Urteil vom 29. Mai 2018 - 7 Sa 48/18 -, Rn. 58 - 59, juris).

Unstreitig hat die Beklagte im Jahr 2019 kein BEM angeboten.

c. Dies führt, wie auch das Arbeitsgericht ausgeführt hat, nicht per se zur Unwirksamkeit der Kündigung, jedoch zu einer Erweiterung der Darlegungslast der Beklagten. Die Durchführung des BEM ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung und für sich genommen auch kein milderes Mittel als diese. § 167 SGB IX konkretisiert aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe des BEM können mildere Mittel, zB die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden.

Möglich ist, dass auch ein tatsächlich durchgeführtes BEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall darf dem Arbeitgeber kein Nachteil daraus entstehen, dass er es unterlassen hat. Will der Arbeitgeber sich hierauf berufen, hat er die objektive Nutzlosigkeit des BEM darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Dazu muss er umfassend und konkret vortragen, warum weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können, warum also ein BEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten des Arbeitnehmers spürbar vorzubeugen und so das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Ist es denkbar, dass ein BEM ein positives Ergebnis erbracht hätte, darf sich der Arbeitgeber nicht auf den pauschalen Vortrag beschränken, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer. Er muss vielmehr von sich aus mögliche Alternativen würdigen und darlegen, aus welchen Gründen weder eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen noch die Beschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz in Betracht kamen (BAG, Urt. v. 20.11.2014, 2 AZR 664/13; Urt. v. 20.03.2014, 2 AZR 565/13; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 26.01.2021, 6 Sa 124/20).

d. Diesen Anforderungen ist die Beklagte nicht gerecht geworden.

aa. Sie hat sich darauf berufen, der Kläger habe ihr gegenüber erklärt, er benötige Stabilität am Arbeitsplatz, könne mit kurzfristigen Versetzungen nicht gut umgehen und wolle die Abteilung nicht erneut wechseln. Ein BEM wäre daher sinnlos gewesen. Dem ist der Kläger substantiiert entgegengetreten. Er hat erläutert, dass er zuvor unangekündigt, für ihn unerwartet und unbegründet versetzt worden sei, was ihn belastet habe. Nur dies habe er der Beklagten mitgeteilt. Dass er eine konkrete Versetzung im Einzelfall beanstandet hat, bedeutet nicht, dass er generell Versetzungen gegenüber nicht offensteht. Nach diesem Sachvortrag der Parteien lässt sich nicht feststellen, dass eine Versetzung unmöglich geworden wäre. Er schließt auch nicht aus, andere Maßnahmen zu erdenken, die dem Kläger eine neue Tätigkeitsaufnahme gesundheitlich möglich machen.

Zudem hat der Kläger selbst, als er sich auf die Wiedereingliederung eingelassen hat, gezeigt, dass er zu einer Überprüfung der Bedingungen der Arbeitstätigkeit bereit ist und hierzu Möglichkeiten sieht. Insofern hat sich eine von der Beklagten beschriebene "Verweigerungshaltung" des Klägers hierdurch, wie es das Arbeitsgericht zutreffend formuliert, "überholt".

bb. Die Fehlzeitengespräche ersetzen auch nicht das BEM. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung ergänzend vorgetragen, wegen der erfolgten Gespräche im Mai und im August 2019 sei ein BEM im September unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände ausnahmsweise entbehrlich gewesen. Zum einen ist ein Fehlzeitengespräch eine mit einem gesetzlich geregelten BEM-Verfahren nicht vergleichbare Maßnahme. Das BEM ist wesentlich umfangreicher. Auch soll hierin um die Zukunft des Arbeitsverhältnisses im Fokus stehen, nicht -wie der Begriff Fehlzeiten vermuten lässt- das Fehlen in der Vergangenheit, wenn auch zwischen diesen beiden Themen sicherlich regelmäßig ein Zusammenhang bestehen mag. Hinzukommt, dass die Fehlzeitengespräche nach unbestrittener Darstellung des Klägers konstruktiv verliefen. Der Kläger schildert ein aus seiner Sicht positives Gespräch mit dem neuen Vorgesetzten, bei dem er seine Sorge um den Erhalt des Arbeitsplatzes zum Ausdruck bringen konnte und insofern beruhigt wurde, so dass ihn die im Anschluss erfolgte Kündigung überraschte.

Gerade da der Kläger an einer psychischen Erkrankung leidet bzw. gelitten hat, war es im Kündigungszeitpunkt vorstellbar, den Kläger beispielsweise in einem anderen Team oder auch in dem vorherigen Team, das neu personell geleitet war, zu integrieren. Auch sonstige Maßnahmen, die sich in einem BEM-Gespräch mit dem Kläger hätten aufzeigen können, wären nicht ausgeschlossen gewesen.

Aus diesem Geschichtspunkt erschien das BEM im September 2019 nicht entbehrlich, sondern hätte vielmehr dazu dienen können, einen Arbeitsplatz für den Kläger, an dem keine erneuten Fehlzeiten in bisherigem Umfang zu erwarten gewesen wären, zu finden. Dass ein BEM vor diesem Hintergrund ein positives Ergebnis nicht hätte erbringen können, steht nicht fest.

Die Kündigung erweist sich somit nicht als sozial gerechtfertigt i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG ist.

4. Deswegen kam es auch nicht darauf an, ob eine ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrates vor Kündigungsausspruch gemäß § 102 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 2 BetrVG erfolgte.

5. Das Urteil des Arbeitsgerichts war nicht abzuändern und die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben.

Referenznummer:

R/R8805


Informationsstand: 14.12.2021