II.
Die zulässige Beschwerde des Arbeitgebers ist unbegründet.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist
gem. § 87
Abs. 1
ArbGG statthaft und auch sonst zulässig, da form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§ 89
Abs. 1 und 2
ArbGG; § 87
Abs. 2
ArbGG i. V. m. §§ 66
Abs. 1
ArbGG, 519, 520
ZPO).
2. Entgegen dem Aussetzungsantrag des Arbeitgebers war in der Sache zu entscheiden, ein Fall der Vorgreiflichkeit i.
S. d. § 148
ZPO liegt nicht vor. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt nicht vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das Gegenstand der Entscheidung des Arbeitsgerichts Bonn war. Dies schon deshalb, da keine Identität zwischen den Beteiligten beider Beschlussverfahren besteht. Allein die Parallelität zur zu beantwortenden Rechtsfrage reicht nicht für die in § 148
ZPO geforderte Vorgreiflichkeit. Das Führen eines sog. "Musterprozesses" kann nur mit Zustimmung beider Seiten zu einem Ruhen des Verfahrens
gem. § 251
ZPO führen. Die Zustimmung des Betriebsrats ist vorliegend nicht gegeben. Es kann daher dahinstehen, ob und in welchem Umfang § 251
ZPO im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren Anwendung findet.
3. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Dem Betriebsrat stehen die begehrten Auskunftsansprüche
gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG i. V. m. § 5 BV BEM,
§ 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX,
§ 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zu.
4. Die vom Betriebsrat verfolgten Auskunftsanträge sind zulässig, insbesondere sind die Anträge hinreichend konkret (§§ 80
Abs. 2, 87
Abs. 2
ArbGG i. V. m. § 253
Abs. 2
Nr. 2
ZPO).
5. Das Arbeitsgericht hat dem Betriebsrat die begehrten Auskunftsansprüche mit rechtlich zutreffender Begründung zugesprochen. Die Beschwerdekammer folgt der erstinstanzlichen Entscheidung und nimmt dessen Darstellung der Gründe in Bezug (§ 87
Abs. 2
i. V. m. § 69
Abs. 2
ArbGG analog). Im Übrigen gilt im Hinblick auf die Angriffe der Beschwerde Folgendes:
6. Die begehrten Auskunftsansprüche stehen dem Betriebsrat bereits aus § 5
Abs. 1 Satz 1
i. V. m. § 3
Abs. 1 und
Abs. 2 BV BEM zu, da der Arbeitgeber
gem. § 77
Abs. 1 Satz 1
BetrVG zur Durchführung dieser Betriebsvereinbarung insoweit gegenüber dem Betriebsrat verpflichtet ist. § 5 BV BEM normiert seinem eindeutigen Wortlaut nach die unverzügliche Benachrichtigungspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat über Mitarbeiter, die die Voraussetzungen für ein betriebliches Eingliederungsmanagement erfüllen. Gem. § 3 BV BEM erfüllen die Voraussetzungen für ein betriebliches Eingliederungsmanagement alle Mitarbeiter, die innerhalb von zwölf Monaten länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind (§ 3
Abs. 1 BV BEM) oder von sich aus ein betriebliches Eingliederungsmanagement beantragen (§ 3
Abs. 2 BV BEM).
7. Die von der Arbeitgeberseite erklärte Kündigung der Betriebsvereinbarung beseitigt die Verpflichtung nicht, da nach dem unstreitigen Beteiligtenvorbringen eine ablösende Betriebsvereinbarung bisher nicht geschlossen wurde und die BV BEM daher
gem. § 77
Abs. 6
BetrVG nachwirkt. Die Auskunftspflichten werden nicht durch § 7
Abs. 2 und
Abs. 3 BV BEM entgegen dem Unterrichtungsverlangen des Betriebsrats eingeschränkt. Die dort normierten Zustimmungsvorbehalte des betroffenen Mitarbeiters beziehen sich auf die - wie der Wortlaut des § 7
Abs. 3 Eingangssatz BV BEM deutlich macht - "im Rahmen dieser BV mit Zustimmung des betroffenen Mitarbeiters zulässig erhobenen Daten" und betreffen daher allenfalls die in der BV BEM geregelten Durchführungsbestimmungen, nicht aber die Frage des Geltungsbereichs dieser Betriebsvereinbarung und ebenso wenig die Frage der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 84
Abs. 2 Satz 1
SGB IX.
8. Dem Betriebsrat stehen die begehrten Auskunftsansprüche auch aus § 80
Abs. 2 Satz 1
BetrVG i. V. m. § 84
Abs. 2 Satz 7
SGB IX zu.
Nach letztgenannter Bestimmung hat der Betriebsrat darüber zu wachen, dass der Arbeitgeber die ihm nach § 84
SGB IX obliegenden Verpflichtungen erfüllt. Diese Verpflichtungen setzen
gem. § 84
Abs. 2
SGB IX für den Arbeitgeber zwingend immer dann ein, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkranken. Die Überwachungsverpflichtung des Betriebsrats aus § 84
Abs. 2 Satz 7
SGB IX kann dieser jedoch nur dann erfüllen, wenn der Arbeitgeber ihm mitteilt, welche betroffenen Mitarbeiter innerhalb des Referenzzeitraums von einem Jahr länger als sechs Wochen erkrankt waren. Zur Durchführung dieser dem Betriebsrat ausdrücklich zugewiesenen Überwachungsaufgabe, die im Übrigen auch aus § 80
Abs. 1
Nr. 1
BetrVG folgt, ist der Betriebsrat daher im Umfang der gestellten Auskunftsansprüche rechtzeitig und umfassend vom Arbeitgeber zu unterrichten (§ 80
Abs. 2 Satz 1
BetrVG).
9. Die Auffassung des Arbeitgebers ist daher unzutreffend, dass Informationsrechte des Betriebsrats erst nach einer Zustimmung des betroffenen Mitarbeiters einsetzen. Die in § 84
Abs. 2 Satz 1
SGB IX genannte Zustimmung der betroffenen Person setzt, vorausgehend die arbeitgeberseitig zu treffende Feststellung, voraus, ob Beschäftigte länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt sind und eine arbeitgeberseitige Anfrage an die betroffene Person vorausging. Dies macht auch § 84
Abs. 2 Satz 2
SGB IX deutlich, wonach die betroffene Person "zuvor" auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen ist. Ohne Kenntnis der vom Betriebsrat beanspruchten Daten kann dieser nicht überwachen, ob der Arbeitgeber seiner gesetzlich gebotenen Initiativlast nachkommt. Die Informationsverpflichtung des Arbeitgebers bezieht sich somit bereits entgegen seiner Rechtsauffassung auf die erste Phase des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84
Abs. 2
SGB IX.
10. Ein Überwachungs- und Informationsrecht des Betriebsrats besteht entgegen der Auffassung des Arbeitgebers auch zugunsten der betroffenen Personen, die dann in der Folge ein betriebliches Eingliederungsmanagement ablehnen. Denn eine wirksame Ablehnung kann nur auf ein wirksames Angebot eines betrieblichen Eingliederungsmanagements seitens des Arbeitgebers gestützt werden. Damit dient die Überwachungsverpflichtung auch der Einhaltung der Wahlfreiheit der betroffenen Personen und kann nicht erst zeitlich danach einsetzen. Dem so verstandenen Auskunftsanspruch des Betriebsrats stehen auch keine durchgreifenden datenschutzrechtlichen Grenzen entgegen. 11. Gem. § 32
Abs. 1
BDSG in der ab 01.09.2009 geltenden Fassung (BGBl. I,
S. 2814) dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten, wozu auch die Arbeitsunfähigkeitszeiten gehören, für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung desselbigen für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Die Erhebung der "Krankheitsdaten" ist für den Arbeitgeber schon zur Prüfung und Durchführung der Entgeltfortzahlungspflicht nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz erforderlich, die Nutzung der dergestalt erhobenen Daten durch den Betriebsrat ist nach den voran dargestellten Gründen
gem. § 80
Abs. 2 Satz 1
BetrVG erforderlich. Die Zulässigkeit der Datennutzung durch den Betriebsrat wird auch durch § 32
Abs. 3
BDSG bestätigt, wonach die Beteiligungsrechte der Interessenvertretungen der Beschäftigten unberührt bleiben.
12. Durch die Neufassung des § 32
BDSG, eingefügt durch
Art. 1
Nr. 12 des Gesetzes vom 14.08.2009 (aaO), hat der Gesetzgeber die bereits langjährig auf § 4
Abs. 1
BDSG gestützte Rechtsprechung zur Nutzung personenbezogener Daten im Rahmen der Betriebsratsaufgaben bestätigt. Bereits mit Urteil vom 17.03.1983 (6 ABR 33/80, zit. n. Juris) ist das Bundesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes dem Einblicksrecht des Betriebsrats in Bruttolohn- und -gehaltslisten nicht entgegensteht. Zudem geht das Bundesarbeitsgericht auch in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Verarbeitung von personenbezogenen Daten der Arbeitnehmer datenschutzrechtlich schon dann zulässig ist, wenn sie durch eine Betriebsvereinbarung erlaubt wird (
vgl. BAG v. 27.05.1986, 1 ABR 48/84 und v. 30.08.1995, 1 ABR 4/95, jew. zit. n. Juris). Soweit das Bundesarbeitsgericht davon ausgeht, dass datenschutzrechtliche Regelungen in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen nicht einen beliebigen Inhalt haben können, sondern sich im Rahmen der Regelungsautonomie halten und die für diese Autonomie geltenden grundgesetzlichen Wertungen, insbesondere zwingendes Gesetzesrecht und Grundsätze des Arbeitsrechts beachten müssen (
vgl. BAG v. 27.05.1986, aaO), erfüllt die vorliegende Betriebsvereinbarung ohne weiteres diese Anforderungen.
13. Zwar ist es zutreffend, dass die "Krankheitsdaten" der betroffenen Personen persönlichkeitsrechtsgeschützte Daten in Anwendung des
Art. 2
Abs. 1
GG darstellen. Das allein macht jedoch eine Nutzung der vorliegenden Art, wie von der BV BEM vorgenommen, in Bezug auf den Betriebsrat nicht unzulässig. Deren Zulässigkeit oder Unzulässigkeit kann sich, vielmehr wie auch sonst im Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers, nur aus einer Abwägung der gegenseitigen Interessen wegen einer solchen Nutzung der Arbeitnehmerdaten ergeben. Die Interessenabwägung ergibt zunächst, dass sich die Regelung in § 5 BV BEM im Rahmen der Regelungsmacht der Betriebspartner hält. Sie wird insbesondere durch § 84
SGB IX und die dort geregelte Einschaltung des Betriebsrats in das betriebliche Eingliederungsmanagement gerechtfertigt. Hinzutritt, dass die BV BEM auch nicht einen Zugriff auf die wesentlich sensibleren konkreten Befunddaten (welche Krankheit, konkrete Dauer der konkreten Erkrankung) ermöglicht und dies vom antragstellenden Betriebsrat auch nicht eingefordert wird.
Demgegenüber besteht für die Weitergabe der personenbezogenen, lediglich Anfang und Ende der angezeigten Arbeitsunfähigkeit bezeichnenden Daten der betroffenen Personen aufseiten des Betriebsrats ein überwiegendes Interesse. Neben dem - wie bereits dargestellt - eigenem Interesse der betroffenen Person ist vor allem das kollektive Interesse der gesamten vom Betriebsrat repräsentierten Arbeitnehmer dahingehend zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber einheitlich auf alle betroffenen Personen i.
S. d. § 84
Abs. 2
SGB IX zugeht und unter Beachtung der Grundsätze der Gleichbehandlung das gesetzlich vorgegebene Instrument der betrieblichen Eingliederung anbietet. Es bestehen schließlich auch keine rechtlichen noch vorliegend tatsächlichen Ansätze, davon auszugehen, dass die vom Arbeitgeber ohnehin schon erhobenen personenbezogenen Arbeitsunfähigkeitsdaten in der Sphäre des Betriebsrats weniger sensibel gehandhabt würden als in derjenigen des Arbeitgebers.
14. Zur Abrundung sei noch darauf verwiesen - wenngleich es für die betriebsverfassungsrechtliche Bewertung nicht unmittelbar darauf ankommt -, dass nunmehr auch die obergerichtliche Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich davon ausgeht (
vgl. BVerwG vom 23.06.2010, 6 P 8/09), dass datenschutzrechtliche Bestimmungen dem Informationsanspruch der Beschäftigtenvertretung nicht entgegenstehen und hierzu eine vorherige Zustimmung des jeweils Betroffenen nicht erforderlich ist (
vgl. VG Berlin v. 04.04.2007,
61 A 28.06, zit. n. Juris).
III.
Das Verfahren ist
gem. § 2
Abs. 2 GKG gerichtskostenfrei.
IV.
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, da die Rechtsbeschwerde
gem. § 92
Abs. 1
i. V. m. § 72
Abs. 2
ArbGG nicht zuzulassen war, da die Entscheidung auf einer langjährig gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aufbaut und auch durch das von der Arbeitgeberseite genannte Verfahren vor dem Arbeitsgericht Bonn keine grundsätzliche Bedeutung gewinnt. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde
gem. § 92 a
i. V. m. § 72 a
ArbGG wird hingewiesen.