Die Parteien streiten über Zusatzurlaub nach dem Schwerbehindertengesetz für das Jahr 1991.
Der Kläger ist bei dem Beklagten seit 1966 als Diplom-Ingenieur zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt ungefähr 7.000,00 DM beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist der zwischen der Tarifgemeinschaft Technischer Überwachungs-Vereine e.V. und der Gewerkschaft ÖTV abgeschlossene Manteltarifvertrag vom 11. Dezember 1989 (MTV
TÜV) kraft beiderseitiger Tarifbindung anwendbar. In § 8
Nr. VII ist folgendes bestimmt:
"Übertragbarkeit des Urlaubs
Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Mitarbeiters liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden."
Der Kläger beantragte im August 1991 beim Versorgungsamt die Anerkennung als Schwerbehinderter. Er informierte den Beklagten darüber nicht. Im Februar 1992 erkannte das Versorgungsamt den Kläger als Schwerbehinderten seit Antragstellung an. Der Kläger teilte dem Beklagten am 17. Februar 1992 seine Anerkennung als Schwerbehinderter mit und beantragte am 21. Februar 1992 und am 15. Juni 1992, ihm zwei
bzw. fünf Tage Zusatzurlaub für das Jahr 1991 zu gewähren. Der Beklagte lehnte die Erfüllung des seiner Meinung nach nur für zwei Tage entstandenen Zusatzurlaubs wegen Erlöschens des Anspruchs am Jahresende ab.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihm fünf Tage Zusatzurlaub für Schwerbehinderte für das Kalenderjahr 1991 zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (Urteil abgedruckt: LAGE § 47
SchwbG 1986
Nr. 1) hat ihr stattgegeben. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Revision.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Revision des Beklagten ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
I.1. Der Kläger hat für das Jahr 1991 einen Anspruch auf Zusatzurlaub nach § 47
SchwbG erworben. Denn der Kläger war in diesem Jahr Schwerbehinderter, wie das Versorgungsamt festgestellt hat. Dieser Bescheid hat nur deklaratorische, nicht konstitutive Wirkung (
vgl. dazu die ständige Rechtsprechung des
BAG Urteile vom 28. Januar 1982 und vom 26. Juni 1986 BAGE 37, 379; 52, 254; 52, 258 = AP
Nr. 3, 5 und 6 zu § 44
SchwbG).
2. Der Kläger hat einen Anspruch auf den vollen Zusatzurlaub für das Jahr 1991 erworben, der bei seiner Arbeitsverpflichtung von fünf Arbeitstagen in der Kalenderwoche fünf Tage betragen hat. Entgegen der Auffassung des Beklagten hat der Zusatzurlaubsanspruch nicht nur zwei Tage umfasst, weil der Bescheid des Versorgungsamts eine Schwerbehinderung erst ab August 1991 feststellt. Auch in diesem Fall steht dem Kläger der volle Zusatzurlaub zu, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Schwerbehinderung des Klägers erst von diesem Tag an oder schon früher bestanden hat und im August 1991 erst festgestellt worden ist. Das Vorliegen der Schwerbehinderung ist Bedingung für das Entstehen des Zusatzurlaubs in dem in § 47
SchwbG genannten Umfang. Maßgebend für das Entstehen des Zusatzurlaubsanspruchs in voller Höhe ist allein die Tatsache, dass im Urlaubsjahr überhaupt eine Schwerbehinderung bestanden hat. § 47
SchwbG enthält keine § 5
BUrlG vergleichbare Regelung zum Teilurlaub für die Fälle, in denen die Schwerbehinderung erst im Laufe des Jahres entsteht oder anerkannt wird. Das Gesetz kennt insbesondere für die Entstehung des Zusatzurlaubs keine Erfüllung einer "Wartezeit". Deshalb folgt der Zusatzurlaub hinsichtlich seines Entstehens dem Anspruch auf Erholungsurlaub (
BAG, aaO). Das bedeutet, dass der Schwerbehinderte, der während des gesamten Urlaubsjahrs beschäftigt wird, den vollen Zusatzurlaub erhält, auch wenn seine Schwerbehinderung nur für einen Teil des Jahres festgestellt wird (so bereits im Ergebnis
BAG Urteil vom 26. Juni 1986, BAGE 52, 258 = AP, aaO und Urteil vom 26. April 1990, BAGE 65, 122 = AP
Nr. 53 zu § 7
BUrlG Abgeltung; ebenso
LAG Hamm Urteil vom 23. November 1993 - 11 Sa 769/93 - LAGE § 47
SchwbG 1986
Nr. 2 und
LAG Köln Urteil vom 1. Juli 1994 - 13 Sa 17/94 - LAGE § 47
SchwbG 1986
Nr. 3; a.A. unzutreffend Bengelsdorf, RdA 1983, 25, 36; Cramer,
SchwbG, 4. Aufl. § 47 Rz 4; ders., MünchArbR Band II, § 229 Rz 38; Dersch/Neumann,
BUrlG, 7. Aufl., Anh. II Rz 14). Ein Teilanspruch auf Zusatzurlaub als Teil des dem Schwerbehinderten zustehenden Gesamturlaubs nach dem Bundesurlaubsgesetz und dem Schwerbehindertengesetz kommt - von tariflichen Sonderregelungen abgesehen - nur in den Jahren in Betracht, in denen das Arbeitsverhältnis begründet oder beendet wird.
II. Der Anspruch des Klägers ist allerdings mit Ablauf des Jahres 1991 erloschen. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts sind die Übertragungsvoraussetzungen des § 3
Nr. VII MTV
TÜV, die mit den Übertragungsvoraussetzungen des § 7
Abs. 3
BUrlG nahezu übereinstimmen, nicht gegeben.
1. Krankheit als in der Person des Mitarbeiters liegender Grund für die Übertragung scheidet aus. Der Kläger war zwar 1991 länger krank, in den Monaten November und Dezember 1991 aber gesund und arbeitsfähig. Er hat Erholungsurlaub im Dezember 1991 genommen. Es war also möglich, ihn vor Ablauf des Urlaubsjahres weitere fünf Tage von der Arbeitspflicht zu befreien.
2. Die Ungewissheit über die Schwerbehinderteneigenschaft ist kein in der Person des Arbeitnehmers liegender Grund im Sinne der Übertragungstatbestände von Tarifvertrag und Gesetz. Das hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts bereits mehrfach entschieden (
BAG Urteile vom 13. Juni 1991 -
8 AZR 360/90 - AuR 1991, 248 und vom 26. Juni 1986, aaO). Der erkennende Senat schließt sich dem an. Die entgegenstehenden Wertungen des Landesarbeitsgerichts über "natürliche Scham, Redlichkeit, Dreistigkeit und Unverschämtheit" eines Arbeitnehmers beruhen weder auf einem Tatsachenvortrag der Parteien noch ist erkennbar, woher das Landesarbeitsgericht in prozessrechtlich statthafter Weise zu seinen Erkenntnissen gekommen ist. Im übrigen entbehrt die Begründung jeglicher schuldrechtlicher Grundlage. Der gerichtliche Streit um schuldrechtliche Ansprüche ist regelmäßig dadurch gekennzeichnet, dass Begründung, Fortbestand und Durchsetzbarkeit der geltend gemachten Forderung ungewiss sind. Dennoch sind befristete Ansprüche während ihres Bestehens geltend zu machen, wenn der Gläubiger seines möglichen Anspruchs nicht verlustig gehen will.
3. Der Anspruch des Klägers ist nicht nach dem Übereinkommen
Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation über den bezahlten Jahresurlaub (Neufassung vom Jahre 1970, BGBl. 1975 II,
S. 746) auf das Kalenderjahr 1992 übergegangen (dazu ausführlich Senatsurteil vom 7. Dezember 1993, BAGE 75, 171 = AP
Nr. 15 zu § 7
BUrlG).
III. Der Zusatzurlaubsanspruch des Klägers ist auch nicht wegen einer von der tariflichen und gesetzlichen Regelung abweichenden betrieblichen Übung bei dem Beklagten auf das erste Quartal 1992 übergegangen. Das Vorbringen des Klägers dazu ist unschlüssig. Sein Vortrag, bei dem Beklagten bestehe die betriebliche Übung, dass der Urlaub, der im laufenden Kalenderjahr nicht genommen worden sei, automatisch ins nächste Jahr übertragen werde, und zwar bis zum Ablauf des ersten Quartals, beschreibt die Rechtslage nach Tarifvertrag und Gesetz, wenn die Übertragungsvoraussetzungen vorliegen. Der Kläger behauptet damit nicht, dass der Beklagte so verfährt, wenn die Übertragungsvoraussetzungen nicht vorliegen. Nichts anderes besagt im übrigen das Rundschreiben der Beklagten vom 18. November 1991, wonach nur Resturlaub, der aus dringenden betrieblichen oder in der Person des Mitarbeiters liegenden Gründen nicht bis zum Jahresende 1991 genommen werden konnte, automatisch auf das erste Quartal 1992 übertragen wird.
IV. Der Kläger hat keinen Schadenersatzanspruch nach den §§ 280
Abs. 1, 284
Abs. 1, 286, 287 Satz 2
BGB auf Nachgewährung von Urlaub, weil er seinen Anspruch bis zum Jahresende nicht geltend gemacht hat. Der Beklagte befand sich daher beim Untergang des Anspruchs nicht im Verzug.