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Urteil
Vorzeitige Versetzung eines Beamten in den Ruhestand wegen dauerhafter Dienstunfähigkeit - Alkoholerkrankung

Gericht:

VG Köln 19. Kammer


Aktenzeichen:

9 K 8942/16


Urteil vom:

20.07.2018


Grundlage:

  • LBG NW § 33 |
  • LBG NW § 34 |
  • BeamtStG § 26 |
  • BeamtStG § 34

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der am xx.xx.1983 geborene Kläger steht als Steueroberinspektor (LBesO A 9) in den Diensten des beklagten Landes. Er war seit dem 30.06.2014 dienstunfähig erkrankt und leistete seit diesem Zeitpunkt - bis auf zwei Tage im Mai 2015 - keinen Dienst. Der Kläger litt im Jahre 2016 an einer rezidivierenden depressiven Störung, an einem Alkoholabhängigkeitssyndrom und an Bulimie. Er befand sich in der Zeit vom 31.07.2014 bis zum 22.09.2014 in einer stationären Alkoholentgiftungsbehandlung in der LVR-Klinik L.. In der Zeit vom 30.09.2014 bis zum 31.10.2014 befand er sich in stationärer psychosomatischer Behandlung in der Klinik L. in P., aus der er am 31.10.2014 aus diszplinarischen Gründen entlassen wurde. In der Zeit vom 05.03.2015 bis zum 30.04.2015 hielt er sich zu einer stationären Alkoholentgiftungsbehandlung in der AHG Klinik U. in O. auf. Nach Beendigung dieser stationären Behandlung trat der Kläger am 04.05.2015 seinen Dienst beim Finanznamt L. an, erkrankte aber nach 2 Arbeitstagen erneut. Er befand sich in der Zeit vom 01.06. bis zum 08.06.2015 in einer Alkoholentzugsbehandlung in der LVR-Klinik L. Deshalb konnte er die ab dem 01.06.2015 geplante stufenweise Wiedereingliederung nicht antreten.

Das beklagte Land beauftragte unter dem 18.06.2015 das Gesundheitsamt der Stadt L. mit der Begutachtung der Dienstfähigkeit des Klägers. Der Kläger erschien zu dem amtsärztlichen Untersuchungstermin am 10.11.2015 alkoholisiert mit einem Atemalkoholgehalt von 4,99 Promille. Die Amtsärztin Dr. B. gelangte in ihrer Stellungnahme vom 14.12.2015 zu dem Ergebnis, dass der Kläger zur Zeit seiner persönlichen Untersuchung am 10.11.2015 nicht dienstfähig sei. Sie wies allerdings darauf hin, dass sich der Kläger zur Zeit in einer erneuten stationären Entwöhnungsbehandlung befinde. Für die abschließende Beurteilung der dauernden Dienstunfähigkeit des Klägers empfahl sie deshalb eine Nachuntersuchung des Klägers nach Durchführung der stationären Behandlung des Klägers.

Der Kläger befand sich in der Zeit vom 01.12.2015 bis zum 12.01.2016 in einer stationären Alkoholentzugsbehandlung in der LVR-Klinik L. Während der Behandlung kam es zu einem Rückfall mit Alkohol, weshalb der Kläger aus der Behandlung vorzeitig entlassen wurde. In der Zeit vom 01.03.2016 bis zum 26.04.2016 wurde der Kläger erneut in LVR-Klinik L. stationär behandelt.

Der Kläger wurde auf Veranlassung des beklagten Landes am 03.05.2016 erneut von der Amtsärztin Dr. B. auf seine Dienstfähigkeit hin untersucht. Die Amtsärztin Dr. B. gelangte in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 07.06.2016 zu dem Ergebnis, dass der Kläger aufgrund seiner psychiatrischen Erkrankung und seiner Alkoholabhängigkeit dauerhaft dienstunfähig sei. Der Gesundheitszustand des Klägers habe sich trotz der kürzlich durchgeführten stationären Behandlungen nicht gebessert. Sie hielt eine Nachuntersuchung vor Ablauf von 3 Jahren nicht für zweckmäßig. Das amtsärztliche Gutachten stützt sich u.a. auf die Entlassungsberichte der LVR-Klinik L. vom 12.01.2016 und 26.04.2016 sowie auf telefonisch eingeholte Auskünfte der den Kläger behandelnden Ärztin Dr. X. von der Institutsambulanz der LVR-Klinik L. Nach den durch Aktenvermerk dokumentierten Angaben der Dr. X. ist der Kläger bereits am 17.05.2016 wieder in der Notfallambulanz vorstellig geworden mit der Bitte für eine erneute stationäre Entgiftung. Der Kläger stehe zur Zeit des Telefongesprächs am 23.05.2016 wieder auf der Warteliste für eine weitere stationäre Entgiftung. Allein im Jahr 2015 sei er 20-mal zur stationären Entgiftungsbehandlung in der LVR-Klinik L. gewesen.

Unter dem 21.06.2016 teilte das beklagte Land dem Kläger gem. § 34 LBG NRW und dem Gesamtbezirkspersonalrat bei der OFD NRW mit, dass es beabsichtige, den Kläger in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen. Der Personalrat stimmte der beabsichtigten Zurruhesetzung des Klägers am 15.08.2016 zu. Die Gleichstellungsbeauftragte bestätigte mit ihrer Paraphe, Bl. 118 der Beiakte 2), dass sie vor Erlass der Zurruhesetzungsverfügung beteiligt wurde.

Der Kläger erhob mit seiner Stellungnahme vom 14.07.2016 Einwände gegen seine beabsichtigte Zurruhesetzung. Er führte hier aus, dass in seinem Fall noch nicht von einer dauerhaften Dienstunfähigkeit ausgegangen werden könne, weil noch nicht alle Maßnahmen zur vollständigen Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit ausgeschöpft seien. Seiner Stellungnahme fügte er eine ärztliche Bescheinigung der ihn behandelnden Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie X. vom 07.07.2016 bei. Nach den Angaben dieser Bescheinigung befand sich der Kläger zu dieser Zeit in der ambulanten psychiatrischen der Institutsambulanz der LVR-Klinik L., Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Nach Einschätzung der behandelnden Ärztin war der Kläger im Juli 2016 aktuell nicht mehr in der Lage, seiner Arbeit als Finanzbeamter nachzugehen. Eine spezifische stationäre Behandlung, die Alkoholabhängigkeit, Bulima nervosa und Depressionen gleichzeitig berücksichtige, sei aus psychiatrischer Sicht dringend geboten.

Mit Bescheid vom 01.09.2016 versetzte das beklagte Land den Kläger mit Ablauf des 30.09.2016 in den Ruhestand. Zur Begründung führte es aus, dass der Kläger nach der schlüssigen und nachvollziehbaren amtsärztlichen Gutachten dauerhaft dienstunfähig sei. Die Richtigkeit der amtsärztlichen Einschätzung werde durch die Einwendungen des Klägers und das von ihm vorgelegte ärztliche Attest der behandelnden Ärztin nicht in Zweifel gezogen, weil dem ärztlichen Attest eine günstige Prognose für die Wiederherstellung der Dienstfähigkeit Klägers nicht zu entnehmen sei.

Der Zurruhesetzungsbescheid wurde dem Kläger mit Einwurfeinschreiben zugestellt. Er wurde am 12.09.2016 zur Post aufgegeben.

Der Kläger hat am 10.10.2016 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, dass Zurruhesetzungsbescheid nicht ausreichend begründet sei. Er enthalte nicht alle Erwägungen, die das beklagte Land zu seiner Entscheidung bewogen habe. Es habe ungeprüft die Einschätzung der untersuchenden Amtsärztin übernommen und sich nicht mit dem vom Kläger vorgelegten ärztlichen Attest vom 07.07.2016 auseinandergesetzt.

Der Kläger beantragt,

den Zurruhesetzungsbescheid des beklagten Landes vom 01.09.2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Seiner Auffassung nach habe es sich in nicht zu beanstandener Weise der amtssärztlichen Einschätzung angeschlossen, dass der Kläger dauerhaft dienstunfähig sei. Die amtsärztliche Einschätzung decke sich mit dem bisherigen Krankheitsverlauf des Klägers. Er sei seit dem 30.06.2014 dienstunfähig erkrankt und habe trotz zahlreicher ambulanter und stationärer Entgiftungsbehandlungen keine der fünf geplanten Wiedereingliederungsmaßnahmen beginnen können. Die vom Kläger vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 07.07.2016 habe angesichts der bisherigen Krankheitsgeschichte des Klägers keinen Anlass für die Annahme geboten, dass er in absehbarer Zeit wieder dienstfähig werde.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und des Gesundheitsamtes der Stadt L.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet.

Der Zurruhesetzungsbescheid des beklagten Landes vom 01.09.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Der Bescheid findet seine Rechtsgrundlage in § 26 Abs. 1 BeamtStG.

Der angefochtene Bescheid ist in formeller Hinsicht rechtmäßig. Die Beklagte hat den Kläger nach Einholung des amtsärztlichen Gutachtens unter Einhaltung der Vorgaben des § 34 Abs. 1 BeamtStG angehört. Der Personalrat hat am 15.08.2016 der Zurruhesetzung des Klägers zugestimmt. Die Gleichstellungsbeauftragte hat mit ihrer Paraphe bestätigt, dass sie vor Erlass der angefochtenen Verfügung beteiligt wurde.

Die Versetzung des Klägers in den Ruhestand ist auch materiell-rechtlich rechtsfehlerfrei erfolgt.

Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG sind Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) sind. Als dienstunfähig kann nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und keine Aussicht besteht, dass innerhalb einer Frist von sechs Monaten (§ 33 Abs. 1 Satz 3 LBG NRW) die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Von der Versetzung in den Ruhestand soll abgesehen werden, wenn eine andere Verwendung möglich ist (§ 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG).

Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zurruhesetzungsverfügung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung, hier also des Bescheides vom 01.09.2016,

vgl. BVerwG, Urteil vom 16.10.1997 - 2 C 7/97 -, BVerwGE 105,267.

Gemessen daran war der Kläger im Zeitpunkt des Erlasses der Zurruhesetzungsverfügung vom 01.09.2016 allgemein dienstunfähig gem. § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG. Nach dieser Bestimmung kann auch als dienstunfähig angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraumes von 6 Monaten mehr als 3 Monate keinen Dienst getan hat und keine Aussicht besteht, dass innerhalb der in § 33 Abs. 1 Satz 3 LBG NRW geregelten Frist von 6 Monaten, die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Der Kläger hatte seit dem 30.06.2014 und damit im Zeitpunkt des Erlasses der Zurruhesetzungsverfügung vom 02.01.2014 seit mehr als zwei Jahren keinen Dienst mehr geleistet. Nach den Feststellungen des amtsärztlichen Gutachtens vom 07.06.2016 bestand keine Aussicht, dass der Kläger innerhalb von 6 Monaten seine volle Dienstfähigkeit wiedererlangt. Für das Gericht besteht kein Anlass an der Richtigkeit der überzeugenden und plausiblen Feststellungen des amtsärztlichen Gutachtens zu zweifeln. Die Amtsärztin Dr. B. führt in ihrer Stellungnahme aus, dass im Hinblick auf Art und Schwere der Gesundheitsstörungen und im Hinblick auf den bisherigen langjährigen Krankheitsverlauf nicht damit zu rechnen sei, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers in absehbarer Zeit - auch unter Ausschöpfung aller Maßnahmen - wesentlich und anhaltend bessern werde. Diese Einschätzung ist nachvollziehbar und plausibel. Der Kläger leidet u.a. an einer nachhaltigen Alkoholabhängigkeit. Er befand sich nach Aktenlage seit dem 31.07.2014 bis zum 26.04.2016 über einen Zeitraum von ca. 2 Jahren in insgesamt 5 mehrwöchigen stationären Alkoholentzugsbehandlungen, im Einzelnen vom 31.07.2014 bis zum 22.09. in der LVR-Klinik L., vom 30.09.2014 bis zum 31.10.2014 in der Klinik am L. in P1., vom 05.03.2015 bis zum 30.04.2015 in der AHG Klinik U., O., vom 01.12.2015 bis zum 12.01.2016 und vom 01.03.2016 bis zum 26.04.2016 in der LVR-Klinik L. Die stationäre Behandlung vom 01.12.2015 musste am 12.01.2016 abgebrochen werden, weil der Kläger während der Behandlung rückfällig geworden war. Im Jahre 2015 wurde der Kläger nach Auskunft der behandelnden Ärztin X. von der Institutsambulanz des LVR-Krankenhauses 20-mal kurzfristig stationär zur Entgiftungsbehandlung aufgenommen werden. Bereits am 17.05.2016, also nur ca. 3 Wochen nach der letzten mehrwöchigen Entzugsbehandlung wurde der Kläger wieder in der Notfallambulanz der LVR-Klinik L. vorstellig geworden mit der Bitte für eine erneute stationäre Entgiftung. Der Kläger wurde dann wieder auf der Warteliste für eine weitere stationäre Entgiftung aufgenommen.

Die unter Berufung auf die Stellungnahme der behandelnden Ärztin X. vom 07.07.2016 gegen die Richtigkeit der amtsärztlichen Einschätzung vorgebrachten Einwände des Klägers greifen nicht durch. Die genannte Stellungnahme bestätigt, dass der Kläger auch nach Durchführung der letzten stationären Behandlung, die am 26.04.2016 beendet worden war, nicht dienstfähig war. Soweit die Stellungnahme eine weitere stationäre Behandlung für dringend geboten hält, ist der Stellungnahme keine günstige Prognose zu entnehmen, dass eine weitere stationäre Behandlung die Dienstfähigkeit des Klägers innerhalb von 6 Monaten nachhaltig wieder herstellen wird.

Das beklagte Land hat auch zu Recht nicht gem. § 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG von der Versetzung des Klägers in Ruhestand abgesehen. Von der Versetzung in den Ruhestand soll gem. § 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG abgesehen werden, wenn eine anderweitige Verwendung des Beamten möglich ist.

Es bestand für das beklagte Land kein Anlass für eine Suche nach anderweitigen Verwendungsmöglichkeiten für den Kläger. Scheidet - wie hier - nach dem amtsärztlichen Gutachten jegliche Wiederverwendung des Beamten aus, weil die Leistungsfähigkeit vollständig oder doch so stark aufgehoben ist, dass noch nicht einmal eine begrenzte Dienstfähigkeit i.S.v. § 27 BeamtStG gegeben ist, besteht die Suchpflicht nicht,

vgl. BVerwG, Beschluss vom 06.03.2012 - 2 A 5/10 -, juris; Urteil vom vom 26.03.2009 - 2 C 73/08 -, BVerwGE 133, 297.

Der vom Kläger angeregten Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens bedurfte es nicht, weil das amtsärztliche Gutachten aus den oben genannten Gründen überzeugend und nachvollziehbar ist und sich dem Gericht eine weitere Beweiserhebung nicht aufgedrängt hat. Im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten sind auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zulässige Beweismittel, sofern sie - wie hier - inhaltlich und nach der Person des Sachverständigen den Anforderungen entsprechen, die an einen gerichtlich bestellten Gutachter zu stellen sind. Dies ist bei amtsärztlichen Gutachten der Fall. Ein Amtsarzt ist unabhängig und an keine Weisungen und Empfehlungen gebunden,

vgl. BVerwG, Urteil vom 11.04.2000 - BverwG 1 D 1.99 -, juris; Sächsisches OVG, Beschluss vom 10.10.2013 - 2 A 731/11 -, juris.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf die Wertstufe bis 40.000,00 EUR festgesetzt.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 6 GKG.

Referenznummer:

R/R8248


Informationsstand: 04.10.2019