Urteil
Feststellung der begrenzten Dienstfähigkeit - Weiterverwendung vor Versorgung - Verkürzung der Dienstzeit und Dienstbezüge um 20 %

Gericht:

OVG Lüneburg 5. Senat


Aktenzeichen:

5 LA 228/12 | 5 LA 228.12


Urteil vom:

16.01.2013


Tenor:

1. Ist ein Beamter dienstunfähig, sind vor einer Versetzung in den Ruhestand die Möglichkeiten einer anderweitigen Verwendung (§ 26 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 BeamtStG) sowie einer Verringerung der Arbeitszeit bei begrenzter Dienstfähigkeit (§ 27 BeamtStG) gleichberechtigt zu prüfen. Ein Vorrang der einen oder der anderen Möglichkeit besteht nicht.

2. Liegen im Einzelfall die tatbestandlichen Voraussetzungen sowohl des § 26 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 BeamtStG als auch des § 27 BeamtStG vor, entscheidet der Dienstherr nach organisatorischen und personalwirtschaftlichen Gesichtspunkten unter Berücksichtigung der Belange des Beamten.

Rechtsweg:

VG Göttingen Urteil vom 04.07.2012 - 1 A 17/12

Quelle:

Justizportal des Landes Niedersachsen

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung seiner Arbeitszeit infolge begrenzter Dienstfähigkeit.

Der im Jahr 19... geborene Kläger ist als Steueramtsrat im Finanzamt für Großbetriebsprüfung C. tätig. Nach längerer Erkrankung und anschließender Wiederaufnahme seiner Tätigkeit mit reduzierter Arbeitszeit beantragte er unter dem 8. Juni 2010, das Verfahren zur Feststellung der begrenzten Dienstfähigkeit einzuleiten. Eine daraufhin eingeholte amtsärztliche Stellungnahme vom 28. Juni 2010 gelangte zu dem Ergebnis, es sei medizinisch erforderlich, die Dienstfähigkeit des Klägers auf 80 Prozent zu begrenzen. Mit einer Wiederherstellung der vollen Dienstfähigkeit im Laufe der nächsten Jahre könne gerechnet werden. Die Beklagte nahm dies zum Anlass, die Arbeitszeit des Klägers mit Bescheid vom 19. Juli 2010 entsprechend der festgestellten begrenzten Dienstfähigkeit mit Wirkung vom 1. August 2010 an für die Dauer von zwei Jahren auf 80 Prozent der regelmäßigen Arbeitszeit herabzusetzen. Die besoldungsrechtlichen Folgen regelte sie mit einem weiteren Bescheid, der Gegenstand eines beim Verwaltungsgericht Göttingen weiterhin anhängigen Klageverfahrens ist (4 A 30/12).

Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Bescheid vom 19. Juli 2010 gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe eine wirksame Feststellung der begrenzten Dienstfähigkeit getroffen und die Arbeitszeit des Klägers entsprechend reduziert. Die zugrunde liegende Rechtsvorschrift des § 27 BeamtStG sei verfassungsgemäß. Die Frage, ob die mit der Reduzierung der Arbeitszeit verbundene Absenkung der Besoldung rechtmäßig sei, sei im Rahmen des weiterhin anhängigen besoldungsrechtlichen Verfahrens zu klären. Dagegen wendet sich der Kläger mit seinem Zulassungsantrag.


II.

Der Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg, weil die Zulassungsgründe, auf die sich der Kläger beruft, nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht erfüllt.

Ernstliche Zweifel sind erst dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrages und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zu Tage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt. Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substantiiert mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist. Ist das angegriffene Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, müssen hinsichtlich aller dieser Begründungen Zulassungsgründe hinreichend dargelegt werden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 25.4.2008 - 5 LA 154/07 -).

Gemessen daran ist es dem Kläger nicht gelungen, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ernstlich in Frage zu stellen.

Soweit der Kläger weiterhin meint, dem angefochtenen Bescheid vom 19. Juli 2010 sei kein hinreichender Regelungswille in Bezug auf die Feststellung der begrenzten Dienstfähigkeit zu entnehmen, sodass dieser gemäß § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i. V. m. § 44 Abs. 1 VwVfG nichtig sei, überzeugt das nicht. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass sich die Beklagte mit der Inbezugnahme der amtsärztlichen Stellungnahme die darin enthaltene Feststellung einer begrenzten Dienstfähigkeit im Umfang von 80 Prozent zu eigen gemacht und - in hinreichend bestimmter Form - eine entsprechende Regelung getroffen hat. Ob die Beklagte in diesem Zusammenhang weitergehende eigene Überlegungen zur Regelung des Sachverhalts - insbesondere zu einer anderweitigen Verwendungsmöglichkeit - angestellt hat, ist in diesem Zusammenhang rechtlich unerheblich.

Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil es die Beklagte versäumt hat, sich mit der Frage einer anderweitigen Verwendung gemäß § 26 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 BeamtStG zu beschäftigen.

Die Prüfung einer anderweitigen Verwendung gemäß § 26 BeamtStG ist zunächst nur dann erforderlich, wenn der Beamte im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand tatsächlich anderweitig verwendbar ist. Die anderweitige Verwendbarkeit muss in vollem Umfang, d. h. zu 100 Prozent der regulären Arbeitszeit gewährleistet sein. Diese Erwartung war nach der amtsärztlichen Stellungnahme vom 28. Juni 2010, die ein Restleistungsvermögen von nur 80 Prozent feststellt und die der Kläger inhaltlich nicht in Frage stellt, nicht gerechtfertigt, so dass die Beklagte nicht in eine nähere Prüfung anderweitiger Verwendungsmöglichkeiten eintreten musste.

Selbst wenn man entgegen der obigen Ausführungen die gesundheitliche Möglichkeit einer vollzeitigen anderweitigen Verwendung bejahen wollte, wäre die von der Beklagten getroffene Feststellung nicht zu beanstanden. Sowohl die Möglichkeit einer anderweitigen Verwendung gemäß § 26 BeamtStG als auch die Reduzierung der Arbeitszeit bei begrenzter Dienstfähigkeit gemäß § 27 BeamtStG sind Ausdruck des Grundsatzes "Weiterverwendung vor Versorgung". Sie dienen dem Ziel, die Versetzung in den Ruhestand möglichst zu verhindern (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.3.2009 - BVerwG 2 C 73.08 -, juris Rn. 10, zu den vergleichbaren Regelungen des BBG a. F.). Beide Möglichkeiten stehen - anders als nach altem Recht, das in § 26 a Abs. 1 Satz 3 BRRG einen Vorrang der anderweitigen Verwendung vorsah - gleichwertig nebeneinander. Ein Vorrang der einen oder der anderen Möglichkeit ist demnach angesichts des Wegfalls des § 26 a Abs. 1 Satz 3 BRRG gesetzlich nicht angelegt (zutreffend Tegethoff, in: Kugele, BeamtStG, 2011, § 26 Rn. 18; wohl auch Reich, BeamtStG, 2. Aufl. 2012, § 26 Rn. 13; Seeck, in: Metzler-Müller/Rieger/Seeck/Zentgraf, BeamtStG, 2. Aufl. 2012, § 26 Anm. 2.2.6). Das entspricht - soweit das den Materialien zu entnehmen ist - auch der Absicht des Gesetzgebers, der die Möglichkeiten einer anderweitigen Verwendung in §§ 26, 27 BeamtStG umfassend regeln wollte (vgl. BT-Drs. 16/4027, S. 28; a. A. demgegenüber Plog/Wiedow, BBG, § 27 BeamtStG Rn. 1 (Stand der Bearbeitung: Februar 2012)).

Ein Vorrang der anderweitigen Verwendung gemäß § 26 BeamtStG lässt sich insbesondere nicht daraus herleiten, dass diese gemeinsam mit der Dienstunfähigkeit in einer Vorschrift geregelt ist, während die Regelung zur begrenzten Dienstfähigkeit in einer weiteren Vorschrift zu finden ist. Eine inhaltliche Bedeutung kommt diesem - vermutlich redaktionellen bzw. historischen Gründen geschuldeten - Gesichtspunkt schon deshalb nicht zu, weil sich die beiden Vorschriften in ihrer wesentlichen Rechtsfolge nicht unterscheiden: In beiden Fällen soll von der Versetzung in den Ruhestand abgesehen werden.

Die anderweitige Verwendung nach § 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG ist gegenüber der begrenzten Dienstfähigkeit auch keinesfalls stets das mildere Mittel. Zwar führt die Reduzierung der Arbeitszeit zu einer Verringerung der Bezüge (§ 1 Abs. 2 NBesG i. V. m. § 72 a BBesG). Demgegenüber ist der Beamte bei einer anderweitigen Verwendung gemäß § 26 BeamtStG gehalten, sich ungeachtet seines angegriffenen Gesundheitszustands in möglicherweise völlig neue Aufgabenbereiche einzuarbeiten. Ein genereller Vorrang der einen oder anderen Möglichkeit lässt sich so ebenfalls nicht begründen.

Sind deshalb im Einzelfall die tatbestandlichen Voraussetzungen beider Vorschriften erfüllt, entscheidet der Dienstherr nach organisatorischen und personalwirtschaftlichen Gesichtspunkten unter Berücksichtigung der Belange des Beamten (vgl. Tegethoff, a. a. O.). Auf dieser Basis begegnet die Entscheidung, den - ausweislich der dienstlichen Beurteilungen überdurchschnittlich qualifizierten - Kläger mit reduzierter Arbeitszeit weiterhin in seinem angestammten Tätigkeitsbereich einzusetzen, keinen Bedenken. Schon aufgrund der in der amtsärztlichen Stellungnahme zum Ausdruck gebrachten Erwartung, der Kläger werde die volle Dienstfähigkeit perspektivisch wieder erlangen, war es nicht geboten, ihm ein anderes Aufgabenfeld zuzuweisen. Hinzu kommt, dass der Kläger eine solche Möglichkeit auch nicht angeregt, sondern mit seinem Antrag vom 8. Juni 2010 unter Bezugnahme auf § 27 BeamtStG im Gegenteil gerade um die Feststellung der begrenzten Dienstfähigkeit gebeten hat.

Zu Unrecht ist der Kläger schließlich der Auffassung, das Verwaltungsgericht habe die besoldungsrechtlichen Folgen einer Reduzierung der Arbeitszeit nicht ausreichend bedacht. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht und mit zutreffender Begründung ausgeführt hat, sind die besoldungsrechtlichen Fragen gesondert zu betrachten. Die weitere Überlegung des Klägers, eine mögliche Verfassungswidrigkeit der Besoldungskürzung schlage auf § 27 BeamtStG durch, ist offensichtlich fernliegend. Die in § 27 BeamtStG angelegte Begrenzung der Arbeitszeit auf das zuvor festgestellte Restleistungsvermögen des Beamten ist vielmehr - wie das Verwaltungsgericht ausführlich und mit überzeugenden Erwägungen dargelegt hat - Ausdruck des hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtentums, dass der Beamte dem Dienstherrn seine gesamte Persönlichkeit und volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.4.2005 - BVerwG 2 C 1.04 -, juris Rn. 10). Unzutreffend ist auch die weitere Überlegung des Klägers, mit der Reduzierung der Arbeitszeit gehe eine verfassungswidrige Absenkung der Besoldung zwangsläufig einher. Die Rechtsprechung sowohl des Bundesverwaltungsgerichts als auch des Senats, die Korrekturen bei der Besoldung verlangt hat, belegt das Gegenteil (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 28.4.2005, a. a. O.; Nds. OVG, Urteil vom 1.11.2011 - 5 LC 207/09 -, juris).

Die Berufung ist auch weder wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) noch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Die als rechtlich schwierig und grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage, ob sich das Tatbestandsmerkmal der Dienstunfähigkeit und das Rechtsinstitut der begrenzten Dienstfähigkeit ausschließen, ist zweifelsfrei anhand des Gesetztextes zu beantworten und überdies in der Rechtsprechung geklärt: Die Feststellung der begrenzten Dienstfähigkeit setzt die Dienstunfähigkeit des Beamten - bezogen auf die vollzeitige Ausübung seines statusrechtlichen Amtes - voraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.8.2012 - BVerwG 2 C 82.10 -, juris Ls. 1 und Rn. 11).

Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor.

Divergenz wäre - ausgehend vom Zulassungsvorbringen - gegeben, wenn das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung einen entscheidungserheblichen abstrakten Grundsatz tatsächlicher oder rechtlicher Art aufgestellt hätte, der mit einem ebensolchen Grundsatz in der in Bezug genommen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Februar 2011 (- BVerwG 2 C 50.09 -, juris) nicht übereinstimmt. Das ist nicht der Fall.

Die in Bezug genommene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts geht davon aus, dass ein teilzeitbeschäftigter Beamter keinen Anspruch auf Nachzahlung der Differenz zu der vollen Besoldung hat, wenn er den die Teilzeit anordnenden Bescheid bestandskräftig werden lässt (BVerwG, Urteil vom 24.2.2011, a. a. O., Rn. 9). Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass bei einer bestandskräftig angeordneten Teilzeitbeschäftigung nur eine Besoldung nach den entsprechenden - verfassungsmäßigen - Regelungen in Betracht kommt. Der Kläger bestreitet indes gerade die Verfassungsmäßigkeit der Besoldungsregelungen bei begrenzter Dienstfähigkeit und entsprechend herabgesetzter Arbeitszeit. Es handelt sich um eine originär besoldungsrechtliche Problematik, die sich erst dann stellt, wenn eine wirksame Feststellung der begrenzten Dienstfähigkeit sowie eine entsprechende Reduzierung der Arbeitszeit vorliegen.

Die Berufung ist schließlich nicht aufgrund eines der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann, zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Einer weiteren Aufklärung der Frage, ob der Kläger gemäß § 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG anderweitig zu verwenden gewesen wäre, bedurfte es nicht. Da der Kläger eine solche anderweitige Verwendung nie verlangt, sondern im Gegenteil die Feststellung der begrenzten Dienstfähigkeit beantragt hatte, und im Übrigen - wie ausgeführt - die Möglichkeit einer anderweitigen Verwendung bei voller Arbeitszeit nach den Feststellungen des amtsärztlichen Gutachtens fern lag, ist das Verwaltungsgericht seinen Aufklärungspflichten gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO vollständig nachgekommen.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Referenznummer:

R/R6850


Informationsstand: 16.06.2016