Urteil
Wirksamkeit einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung - Erforderlichkeit der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements

Gericht:

LAG Hessen 21. Kammer


Aktenzeichen:

21 Sa 1456/12


Urteil vom:

03.06.2013


Grundlage:

Orientierungssatz:

Unwirksamkeit einer ordentlichen, krankheitsbedingten Kündigung wegen der mangelnden Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements.

Ein betriebliches Eingliederungsmanagement ist nicht deshalb entbehrlich, weil arbeitsmedizinische Untersuchungen zu dem Ergebnis kommen, dass die gehäuften krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit nicht im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz stehen können oder dass gegen die Beschäftigung des Arbeitnehmers keine gesundheitlichen Bedenken bestehen.

Beruhen die Fehlzeiten eines Arbeitnehmers auf einer überdurchschnittlichen Krankheitsanfälligkeit, so kann Gegenstand eines betrieblichen Eingliederungsmanagements auch die Erarbeitung eines umfassenden Konzeptes zur Änderung der generellen (d. h. auch privaten) Lebensweise sein, damit der Arbeitnehmer auf diese Weise seine gesundheitliche Verfassung gerade bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten verbessert und damit seine Krankheitsanfälligkeit mindert. Auch wenn die Umsetzung des im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements erarbeiteten Konzeptes nicht dem Arbeitgeber, sondern dem Arbeitnehmer obliegt, ist die Erarbeitung eines derartigen Konzeptes noch Bestandteil des betrieblichen Eingliederungsmanagements.

Rechtsweg:

ArbG Fulda Urteil vom 02.10.2012 - 1 Ca 471/11

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Hessen

Tenor:

1.) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Fulda vom 02. Oktober 2012, Az: 1 Ca 471/11, wird zurückgewiesen.

2.) Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.

3.) Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten noch um die Wirksamkeit einer ordentlichen, krankheits-bedingten Kündigung sowie über einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung.

Bei der Beklagten handelt es sich um ein Unternehmen, dass in der Entwicklung und Herstellung von Hygieneprodukten tätig ist. In ihrem Betrieb in A, in dem ein Betriebsrat besteht, beschäftigt sie ca. 220 Mitarbeiter.

Der bei Klageerhebung 47 Jahre alte, verheiratete Kläger, der für zwei Kinder unterhaltspflichtig ist, ist seit dem 24. Juni 1991 bei der Beklagten beschäftigt. Für seine Tätigkeit als Maschinenführer erhält der Kläger auf Basis eines Stundenlohns von Euro 15,15 brutto ein Bruttomonatseinkommen in Höhe von ca. Euro 2.700,-.

In der Vergangenheit war der Kläger wiederholt arbeitsunfähig erkrankt. So konnte der Kläger z.B. jedenfalls in der Zeit vom 27. Juli 2006 bis zum 06. August 2006 und in der Zeit vom 24. Oktober 2006 bis zum 27. Mai 2007 seiner Arbeit wegen einer Handverletzung nicht nachgehen. In den Jahren 2008 bis 2011 war der Kläger in folgenden Zeiträumen arbeitsunfähig erkrankt:

Fehltage:

2008: 69
2009: 74
2010: 62
2011 bis zum 16.11.2011: 120

Diese Fehlzeiten beinhalten drei Arbeitsunfälle (14. bis 16. Februar 2008, 19. Januar 2009 bis 04. Februar 2009 und 14. bis 23. Oktober 2009).

Im April 2009 wurde der Kläger arbeitsmedizinisch untersucht. Die Ärztin stellte in ihrer Stellungnahme vom 16. Juni 2009 u. a. fest, dass im Hinblick auf die Hauterkrankungen des Klägers keine gesundheitlichen Bedenken bestünden (Bl. 135 d. A.). Im Januar 2010 wurde der Kläger auf Veranlassung der Beklagten erneut arbeitsmedizinisch untersucht. In einem Schreiben vom 02. Februar 2010 teilte der Arbeitsmedizinische Dienst des TÜV (!X!)... der Beklagten u. a. mit (Bl. 37 d. A.):

"Aufgrund des Ergebnisses der aktuell durchgeführten arbeitsmedizinischen Untersuchung kann Herr B weiterhin im Schichtbetrieb als Maschinenführer der Firma C vollschichtig eingesetzt werden.

Es ergaben sich keine Hinweise darauf, dass die gehäuften krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz bestehen könnten.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ergibt sich aus medizinischer Sicht kein sicherer Anhalt dafür, dass künftig weitere krankheitsbedingte längere Fehlzeiten auftreten werden."

Im September 2010 teilte die Berufsgenossenschaft D der Beklagten mit, dass dem Kläger für seine Arbeit einseitig beschichtete Strickhandschuhe zur Verfügung gestellt worden seien (Bl. 166 d. A.). Damit lassen sich arbeitsbedingte Kontaktallergien vermeiden. Im Jahr 2011 beruhten die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers in erster Linie auf Hüftbeschwerden, die am 28. März 2011 zu einer Hüftoperation führten. Eine weitere arbeitsmedizinische Untersuchung im September 2011 kam zu dem Ergebnis, dass gegen die Beschäftigung des Klägers keine gesundheitlichen Bedenken bestünden (Bl. 38 d. A.).

Mit Schreiben vom 29. November 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30. Juni 2012 (Bl. 10 d. AMit seiner am 02. Dezember 2011 bei Gericht eingegangenen und der Beklagten am 19. Dezember 2011 zugestellten Klage hat sich der Kläger gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung gewandt und einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung geltend gemacht.

Er hat die Ansicht vertreten, dass die Kündigung sozial nicht gerechtfertigt sei, und in diesem Zusammenhang behauptet, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten der letzten Jahre neben den drei Betriebsunfällen und dem Hüftleiden im wesentlichen auf eine Kontaktallergie, einen Fersensporn am rechten Fuß, Erkältungskrankheiten sowie zwei private Unfälle zurückzuführen seien. Die Kontaktallergie würde nach den Maßnahmen der Berufsgenossenschaft nicht mehr auftreten. Das Hüftleiden sei nach der Operation und einer Rehabilitationsmaßnahme ausgeheilt. Der Fersensporn sei die Folge einer Entlastungsreaktion seines rechten Beines auf die Hüftbeschwerden an der anderen Körperseite. Mit Hilfe von Einlagen und einer Therapie mit Ultraschall seien diese Beschwerden ebenfalls erfolgreich behandelt worden. Die Erkältungskrankheiten würden auf den zugigen Arbeitsbedingungen beruhen. In Anbetracht dessen habe die Beklagte seiner Ansicht nach keine konkreten Tatsachen dargelegt, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Der Kläger hat weiterhin gerügt, dass die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt habe. Gerade im Zusammenhang mit seinen Erkältungskrankheiten hätte ein Eingliederungsmanagement hilfreich sein können. Im Rahmen eines derartigen betrieblichen Eingliederungsmanagements hätte die Beklagte auch Gelegenheit gehabt, ihm durch ein Gesundheitsmanagement zu einem gesundheitsfördernden Verhalten zu verhelfen und ggf. durch eine Herabsetzung von Taktzahlen der Maschinen zur Vermeidung von Betriebsunfällen beizutragen. Schließlich bestreitet der Kläger mit Nichtwissen, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden sei.


Der Kläger hat beantragt,

1.) festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden ist,

2.) festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch anderweitige Beendigungstatbestände aufgelöst wird und fortbesteht,

3.) hilfsweise, im Falle des Obsiegens mit dem Klageantrag zu 1.), die Beklagte zu verurteilen, ihn auch über den 30. Juni 2012 bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Rechtsstreites zu den seitherigen Arbeitsbedingungen als Maschinenführer weiterzubeschäftigen.


Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, dass die Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt sei, weil der Kläger eine massive, dauerhaft bestehende Krankheitsanfälligkeit aufweise. Sie hat in diesem Zusammenhang behauptet, dass der Kläger seit dem Beginn des Arbeitsverhältnisses bis einschließlich zum 25. November 2011 1061 Tage krankheitsbedingt gefehlt habe. Diesen Fehlzeiten sei ihrer Ansicht nach eine negative Prognose für den künftigen Krankenstand des Klägers zu entnehmen. Unerheblich sei in diesem Zusammenhang, dass einzelne Krankheiten nach den Behauptungen des Klägers ausgeheilt seien, weil sie ihre negative Prognose auf die erhöhte, individuelle Krankheitsanfälligkeit des Klägers stütze. Im Übrigen würde selbst dann, wenn man die "ausgeheilten" Erkrankungen in Abzug bringen wollte, immer noch ein ausreichender Anteil an prognosefähigen Erkrankungen verbleiben. Die Behauptungen des Klägers würden sich weiterhin nur auf seine einzelnen Erkrankungen beziehen. Er habe aber nicht behauptet, dass ihm von den Ärzten grundsätzlich eine positive Zukunftsprognose erteilt worden sei. Die Fehlzeiten hätten - so hat die Beklagte behauptet - weiterhin zu einer erheblichen Beeinträchtigung ihrer betrieblichen Interessen geführt, da sie allein für 803 Tage eine Entgeltfortzahlung in Höhe von mindestens Euro 97.051,43 geleistet habe. Der Wirksamkeit der Kündigung stehe ihrer Ansicht nach auch nicht ein etwaiges, fehlendes betriebliches Eingliederungsmanagement entgegen. So habe sie durch die arbeitsmedizinischen Untersuchungen in den Jahren 2004, 2009, 2010 und im September 2011 ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt. Selbst wenn diese Maßnahmen nicht den Anforderungen des § 84 Abs. 2 SGB IX genügen sollten, so wäre das Unterlassen eines weiteren betrieblichen Eingliederungsmanagements im vorliegenden Fall unschädlich gewesen, da dieses kein positives Ergebnis hätte erbringen können. Die Beklagte behauptet, dass auf Grund der bereits durchgeführten arbeitsmedizinischen Untersuchungen vielmehr davon auszugehen sei, dass der Kläger voll arbeitsfähig sei und seine häufigen krankheitsbedingten Fehlzeiten in keinem Zusammenhang zu seinem Arbeitsplatz stünden. So sei der Betriebsarzt im Rahmen der arbeitsmedizinischen Untersuchungen jeweils beauftragt worden, zu prüfen, ob ein Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Klägers und seinen Erkrankungen bestehe. Bei keiner Untersuchung sei ein derartiger Zusammenhang festgestellt worden. Der Kläger habe gegenüber den Ärzten vielmehr bekundet, dass seine Erkrankungen in keinem Bezug zum Arbeitsplatz stünden. Er weise somit eine Krankheitsanfälligkeit auf, die durch arbeitsorganisatorische Änderungen nicht geändert werden könne. Infolgedessen hätte es dem Kläger oblegen, im privaten Bereich selbst Maßnahmen zur Bekämpfung der Ursachen seiner Erkrankung einzuleiten. Hätten die Erkrankungen des Klägers aber überhaupt keinen betrieblichen Bezug, so könne das Unterbleiben eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach Ansicht der Beklagten auch nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Das betriebliche Eingliederungsmanagement soll vielmehr lediglich sicherstellen, dass sich ein Arbeitgeber nicht unzulässigerweise auf die fehlende Kenntnis von leidensgerechten Arbeitsplätzen berufe. Die erforderliche Interessenabwägung falle zu Lasten des Klägers aus. Zwar seien zu seinen Gunsten seine zwanzigjährige Betriebszugehörigkeit, sein Alter von 47 Jahren und seine Unterhaltspflichten für seine beiden Kinder zu berücksichtigen. Diese Umstände hätten jedoch hinter ihren erheblichen wirtschaftlichen Belastungen und der nachhaltigen, langjährigen Störung des Austauschverhältnisses zurückzustehen. Schließlich hat die Beklagte behauptet, dass der Betriebsrat zu der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden sei.

Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhaltes und des weiteren Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichtes Fulda vom 02. Oktober 2012 gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen (Bl. 219-221 d.A.).

Mit Urteil vom 02. Oktober 2012 hat das Arbeitsgericht Fulda festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 29. November 2011 aufgelöst worden ist. Ferner wurde die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Rechtsstreites zu den seitherigen Arbeitsbedingungen als Maschinenführer weiter zu beschäftigen. Lediglich der allgemeine Feststellungsantrag wurde abgewiesen, da er unzulässig sei. Zuvor hatte das Arbeitsgericht Fulda Beweis erhoben durch die Einholung einer schriftlichen Beantwortung einer Beweisfrage durch die Zeugin E. Wegen des Inhalts des Beweisbeschlusses wird auf die Sitzungsniederschrift vom 10. August 2012 (Bl. 172 d. A.) und wegen des Ergebnis der Beweisaufnahme auf die schriftliche Antwort der Zeugin vom 14. August 2012 (Bl. 180 - 181 d. A.) verwiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Arbeitsgericht Fulda - kurz zusammengefasst - ausgeführt, dass die ordentliche Kündigung vom 29. November 2011 nicht sozial gerechtfertigt sei, da sie unverhältnismäßig sei. Die Beklagte sei ihrer Verpflichtung aus § 84 Abs. 2 SGB IX zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht nachgekommen. Insbesondere könnten die arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen nicht mit einem betrieblichen Eingliederungsmanagement gleich gesetzt werden, da dieses einen viel breiteren Ansatz habe. Auch könne nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagement im vorliegenden Fall sinnentleert wäre. Vielmehr sei den Stellungnahmen auf die arbeitsmedizinischen Untersuchungen zu entnehmen, dass diesen keine ganzheitliche Betrachtung zugrunde liegen würde, sondern dass sich diese primär auf den Zusammenhang zwischen bestimmten Erkrankungen sowie den Bedingungen am Arbeitsplatz beschränkt hätten. Sei die Kündigung daher sozial nicht gerechtfertigt, so müsse der Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreites weiterbeschäftigt werden.

Gegen dieses der Beklagten am 05. Oktober 2012 zugestellte Urteil hat diese mit einem beim erkennenden Gericht am 23. Oktober 2012 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und begründet.

Die Beklagte wiederholt und vertieft in Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Arbeitsgerichtes ihren erstinstanzlichen Vortrag. Insbesondere ist sie der Ansicht, dass die bereits durchgeführten arbeitsmedizinischen Untersuchungen als betriebliches Eingliederungsmanagement hätten bewertet werden müssen. Sie behauptet, dass sie seit 2004 bis einschließlich Ende 2011 verschiedene Versuche unternommen habe, um einen irgendwie gearteten Zusammenhang zwischen den betrieblichen Gegebenheiten und den krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers zu finden. Weder ihre eigenen internen Prüfungen, noch die eingeholten ärztlichen Stellungnahmen sowie die Aussagen des Klägers hätten jedoch ergeben, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers einen betrieblichen Bezug hätten. Vor diesem Hintergrund hätte die Hinzuziehung weiterer Personen wie der eines Haus- oder Facharztes an diesem Ergebnis nichts geändert. Vielmehr hätte das erstinstanzliche Gericht ihrer Ansicht nach die Grenzen des betrieblichen Eingliederungsmanagements überdehnt. Beim betrieblichen Eingliederungsmanagement würde es sich um ein rein betriebliches Verfahren handeln, dass der besonderen Gesundheitsprävention am Arbeitsplatz diene. Keinesfalls soll durch das betriebliche Eingliederungsmanagement die allgemeine Gesundheitsprävention gestärkt werden. Infolgedessen müsse der Arbeitgeber im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements keine Rücksichtnahme auf Umstände nehmen, die außerhalb seiner betrieblichen Sphäre liegen. Ferner habe das erstinstanzliche Gericht die Darlegungs- und Beweislast verkannt, in dem es unterstellt habe, dass es tatsächlich eine Möglichkeit gebe, die Fehlzeiten des Klägers zu reduzieren. Sie habe jedoch unter Beweis gestellt, dass keine betriebliche Eingliederungsmaßnahme denkbar sei, die zu einer Minderung der Fehlzeiten geführt hätte.


Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichtes Fulda vom 02. Oktober 2012, Az: 1 Ca 471/11, teilweise abzuändern und

die Klage insgesamt abzuweisen.


Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Seiner Ansicht nach habe die Beklagte bisher kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt. Er behauptet, das ihm weder die ärztlichen Stellungnahmen im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen bekannt seien, noch dass er zu einer Arbeitsplatzbesichtigung und dem in diesem Zuge geführten Gespräch hinzugezogen worden sei. Die von der Beklagten zur Verfügung gestellten Handschuhe seien für die ihm obliegenden Arbeiten zu dünn und damit ungeeignet gewesen. Selbst auf mehrmalige Nachfrage habe er von der Beklagten keine geeigneten Handschuhe erhalten. Ein Kollege habe ihm dann die richtigen Handschuhe überlassen. Da er an der Maschine mit den höchsten körperlichen Beanspruchungen arbeite, habe er mehrmals vergeblich versucht, an eine andere Maschine versetzt zu werden. Infolgedessen ist er der Ansicht, dass seine krankheitsbedingten Fehlzeiten im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements hätten gemindert werden können.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien, den von ihnen eingereichten Unterlagen, ihren Rechtsausführungen und Beweisangeboten wird ergänzend auf den Akteninhalt sowie die Sitzungsniederschrift vom 03. Juni 2013 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Fulda vom 02. Oktober 2012, Az: 1 Ca 471/11, ist gemäß §§ 8 Abs. 2 ArbGG, 511 ZPO, 64 Abs. 2 lit. b und c ArbGG statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO.

II. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden. Infolgedessen ist die Beklagte verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites als Maschinenführer weiter zu beschäftigen.

1.) Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29. November 2011 aufgelöst worden.

a.) Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet das Kündigungsschutzgesetz von seinem persönlichen und betrieblichen Geltungsbereich her Anwendung (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG). Zum Einen war der Kläger bei Zugang der Kündigung bereits mehr als sechs Monate bei der Beklagten beschäftigt. Zum Anderen beschäftigte die Beklagte bei Zugang der Kündigung mehr als zehn Vollzeitarbeitnehmer.

b.) Die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung vom 29. November 2011 ist zu prüfen, da diese nicht gemäß den §§ 4 Satz 1, 7 KSchG als von Anfang an wirksam gilt. Der Kläger hat seine Kündigungsschutzklage gegen diese Kündigung innerhalb der vorgeschriebenen Dreiwochenfrist erhoben. Seine Kündigungsschutzklage ging am 02. Dezember 2011 bei Gericht ein und wurde der Beklagten am 19. Dezember 2011 zugestellt.

c.) Die Kündigung vom 29. November 2011 ist gem. § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam, da sie nicht durch Gründe, die in der Person des Kläger liegen, bedingt ist.

aa.) Gemäß § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung u. a. dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe in der Person des Arbeitnehmers bedingt ist. Dabei ist die soziale Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht (BAG Urteil vom 10. November 2005, Az: 2 AZR 44/05, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 zur Krankheit zur Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen und BAG Urteil vom 12. Juli 2007, Az: 2 AZR 716/06, AP Nr. 28 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung zur Langzeiterkrankung) in drei Stufen zu prüfen:

Zunächst ist auf der ersten Stufe eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen, und zwar abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt, objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes sprechen. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Krankheiten ausgeheilt sind. Bei einer negativen Indizwirkung hat der Arbeitnehmer gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist, wobei er seiner prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann genügt, wenn er die Behauptungen des Arbeitgebers nicht nur bestreitet, sondern seinerseits vorträgt, die ihn behandelnden Ärzte hätten die gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und er sodann die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet. Alsdann ist es Sache des Arbeitgebers, den Beweis für das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (BAG Urteil vom 08. November 2007, Az: 2 AZR 292/06, AP Nr. 29 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung; BAG Urteil vom 10. November 2005, Az: 2 AZR 44/05, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Die prognostizierten, erheblichen Fehlzeiten sind ferner nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes auf der zweiten Stufe festzustellen ist. Liegt eine solche erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen vor, so ist in einem dritten Prüfungsschritt im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen. Dabei ist u. a. zu berücksichtigen, ob die Erkrankung auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind, ob und wie lange das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zunächst ungestört verlaufen ist, ob der Arbeitgeber eine Personalreserve vorhält und etwa neben Betriebsablaufstörungen auch noch hohe Entgeltfortzahlungskosten aufzuwenden hatte. Ferner sind das Alter, der Familienstand und die Unterhaltspflichten sowie ggf. eine Schwerbehinderung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (BAG Urteil vom 08. November 2007, Az: 2 AZR 292/06, AP Nr. 29 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung; BAG Urteil vom 10. November 2005, Az: 2 AZR 44/05, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969).

bb.) Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt führt zu dem Ergebnis, dass die Kündigung der Beklagten vom 29. November 2011 unverhältnismäßig ist.

(a.) Zwar indizieren die Fehlzeiten des Klägers in den letzten Jahren eine negative Gesundheitsprognose.

Treten - wie im vorliegenden Fall - während der letzten Jahre jährlich mehrere Kurzerkrankungen auf, sprechen diese nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes für ein entsprechendes Erscheinungsbild auch in der Zukunft (BAG Urteil vom 10. November 2005, Az: 2 AZR 44/05, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Der Arbeitgeber darf sich in solchen Fällen zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten (BAG Urteil vom 17. Juni 1999, Az: 2 AZR 639/98, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Indem die Beklagte die Krankheitszeiten des Klägers im Einzelnen präzisiert nach Zahl, Dauer sowie zeitlicher Folge vorgetragen hat, ist sie insoweit ihrer Darlegungslast nachgekommen. Auf Grund dieser Fehlzeiten war im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung damit zu rechnen, dass der Kläger auch zukünftig jährlich in erheblichem Umfang krankheitsbedingt fehlen wird. Dieses gilt selbst dann, wenn man die Betriebsunfälle des Klägers abzieht. Auch dann verbleiben noch über einen Zeitraum von sechs Wochen hinausgehende Fehlzeiten in den Jahren 2009, 2010 und 2011. Diese indizieren eine Wiederholungsgefahr in der Zukunft.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes steht es der Annahme einer negativen Prognose auch nicht entgegen, dass die Fehlzeiten auf unterschiedlichen prognosefähigen Erkrankungen beruhen und dass einzelne der bisherigen Erkrankungen wie das Hüftleiden durch die Operation ausgeheilt sein mögen oder wie die Kontaktallergie durch das Tragen der geeigneten Handschuhe keine Fehlzeiten mehr verursachen werden.

Denn die Fallgruppe der krankheitsbedingten Kündigung wegen überdurchschnittlich häufiger Kurzerkrankungen zeichnet sich gerade dadurch aus, dass die einzelne Erkrankung für sich betrachtet jeweils nach einiger Zeit wieder ausgeheilt ist. Zeigen sich solche je für sich betrachtet "ausgeheilte" Kurzerkrankungen jedoch in einem ausreichend lang bemessenen Referenzzeitraum in ungewöhnlicher Häufung und Unterschiedlichkeit immer wieder, so kann und darf daraus der prognoserelevante Schluss auf eine überdurchschnittliche hohe Krankheitsanfälligkeit gezogen werden. Prognoserelevante Kurzerkrankungen sind somit keineswegs nur solche, die auf einem chronischen und unheilbaren Grundleiden beruhen (LAG Köln Urteil vom 15. Oktober 2009, Az: 7 Sa 581/09, zitiert nach juris; LAG Schleswig-Holstein Urteil vom 03. November 2005, Az: 3 Sa 320/05, LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 38). Vielmehr kann das vermehrte Auftreten verschiedener Kurzerkrankungen den Schluss auf eine gewisse Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers zulassen und damit eine negative Prognose begründen (BAG Urteil vom 10. November 2005, Az: 2 AZR 44/05, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte dargelegt, dass der Kläger in den letzten Jahren überdurchschnittlich häufig erkrankt war. Auch ist nach der Einlassung des Klägers davon auszugehen, dass die dadurch verursachten Fehlzeiten auf unterschiedlichen Krankheiten beruhen. Infolgedessen hat die Beklagte dargelegt, dass der Kläger eine überdurchschnittliche Krankheitsanfälligkeit aufweist.

Der Kläger hat die sich aus seinen Fehlzeiten ergebende Indizwirkung auch nicht erschüttert. Dafür hätte er vielmehr dartun müssen, weshalb zukünftig trotz unveränderten Arbeitsbedingungen nicht mit weiteren, derart hohen Arbeitsunfähigkeitszeiten zu rechnen ist (vgl. hierzu BAG vom 7. November 2002, Az: 2 AZR 599/01, AP Nr. 40 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Dazu hätte er zusätzlich im Einzelnen konkret vortragen müssen, dass die Ärzte seine gesundheitliche Entwicklung insgesamt und nicht nur im Hinblick auf einzelne Erkrankungen konkret positiv beurteilt haben (vgl. hierzu BAG Urteil vom 17. Juni 1999, Az: 2 AZR 639/98, AP Nr. 40 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Angesichts der hier vorliegenden besonderen Krankheitsanfälligkeit hätte er in diesem Zusammenhang vortragen müssen, vor weichem tatsächlichen Hintergrund und aufgrund welcher neuen Kausalverläufe trotz der hohen Krankheitszeiten in der Vergangenheit seine Ärzte für die Zukunft von einer positiven Entwicklung ausgehen. Erst dann hätte die Beklagte durch Einholung eines Sachverständigengutachtens dafür Beweis erbringen müssen, dass die Erkrankungen nicht auf die Arbeitsbedingungen zurückzuführen seien und demzufolge in dem bisherigen Umfang weiterhin auftreten werden (BAG Urteil vom 06. September 1989, Az: 2 AZR 118/89, AP Nr. 22 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Ein derartiger Vortrag des Klägers fehlt jedoch vorliegend. Der Kläger hat lediglich ins Blaue hinein behauptet, dass seine Ärzte seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt hätten.

(b.) Auch beeinträchtigen die prognostizierten Fehlzeiten die betrieblichen Interessen der Beklagten erheblich. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes stellen bereits die hier vorliegenden, entstandenen und zukünftig zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten, die jeweils für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen jährlich aufzuwenden sind, eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen dar (vgl. BAG Urteil vom 10. November 2005, Az: 2 AZR 44/05, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

c.) Jedoch ist die Kündigung der Beklagten deshalb sozial ungerechtfertigt, weil die Beklagte nicht dargelegt hat, dass die Kündigung verhältnismäßig ist.

Nach dem das ganze Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine krankheitsbedingte Kündigung u. a. dann sozial ungerechtfertigt, wenn sie zur Beseitigung der betrieblichen Beeinträchtigungen und der eingetretenen Vertragsstörung nicht erforderlich ist. Eine Kündigung ist dabei nicht erforderlich, solange der Arbeitgeber nicht alle anderen geeigneten milderen Mittel zur Vermeidung künftiger Störungen ausgeschöpft hat. Zu den die Kündigung bedingenden Tatsachen gehört deshalb auch das Fehlen von (alternativen) Beschäftigungsmöglichkeiten, die einen zukünftigen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses möglich erscheinen lassen. Dafür trägt der Arbeitgeber nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast. Er kann zunächst pauschal behaupten, es bestünden keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer. Darin liegt regelmäßig zugleich die Behauptung, es bestehe keine Möglichkeit einer leidensgerechten Ausgestaltung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsbedingungen. Daraufhin hat der Arbeitnehmer konkret darzulegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder seine weitere Beschäftigung - ggf. zu geänderten Arbeitsbedingungen - unter Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorstellt (BAG Urteil vom 10. Dezember 2009, Az: 2 AZR 400/08, AP Nr. 48 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ist im Rahmen der oben dargelegten Grundsätze für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast die Erforderlichkeit eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX von besonderer Bedeutung. Zwar ist die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung (BAG Urteil vom 12. Juli 2007, Az: 2 AZR 716/06, AP Nr. 28 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung). Jedoch konkretisiert die Norm den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dabei ist das betriebliche Eingliederungsmanagement nicht selbst ein milderes Mittel. Mit seiner Hilfe können aber mildere Mittel als die Kündigung, z.B. eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen - ggf. durch Umsetzungen freizumachenden - Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip wird jedoch nicht bereits dadurch verletzt, dass überhaupt kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt wurde. Es muss hinzukommen, dass überhaupt Möglichkeiten einer alternativen (Weiter-) Beschäftigung bestanden haben, die eine Kündigung vermieden hätten (BAG Urteil vom 10. Dezember 2009, Az. 2 AZR 400/08, AP Nr. 48 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Es ist in diesem Zusammenhang somit zu prüfen, ob ein betriebliches Eingliederungsmanagement ein positives Ergebnis hätte erbringen können (BAG Urteil vom 23. April 2008, Az: 2 AZR 1012/06, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 55). Ist dies nicht der Fall, so kann dem Arbeitgeber aus dem Unterlassen des betrieblichen Eingliederungsmanagements kein Nachteil entstehen. Wäre ein positives Ergebnis dagegen möglich gewesen, treten die oben näher beschriebenen Verschiebungen in der Darlegungslast ein. Hat demnach ein Arbeitgeber entgegen seiner gesetzlichen Pflicht überhaupt kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt, kann sich der Arbeitgeber nicht mehr darauf beschränken vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer und es gebe keine leidensgerechten Arbeitsplätze, die der Arbeitnehmer trotz seiner Erkrankung noch einnehmen könne. Er hat vielmehr von sich aus denkbare oder vom Arbeitnehmer (außergerichtlich) bereits genannte Alternativen zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen sowohl eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen als auch die Beschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz ausscheiden. Erst dann ist es Sache des Arbeitnehmers, sich hierauf substantiiert einzulassen und darzulegen, wie er sich selbst eine leidensgerechte Beschäftigung vorstellt (BAG Urteil vom 10. Dezember 2009, Az: 2 AZR 400/08, AP Nr. 48 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, BAG Urteil vom 23. April 2008, Az: 2 AZR 1012/06, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 55).

aa.) Im vorliegenden Fall wäre die Beklagte gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX grundsätzlich verpflichtet gewesen, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. Der Kläger war in den Jahren 2008 bis 2011 innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen krank.

bb.) Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten kann im vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte mit dem Kläger ein den Erfordernissen des § 84 Abs. 2 SGB IX genügendes betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt hat.

Zwar ist der Kläger in den Jahren 2009, 2010 und 2011 drei Mal arbeitsmedizinisch untersucht worden. Auch ist der Beklagten zu zugestehen, dass § 84 Abs. 2 SGB IX keine nähere gesetzliche Ausgestaltung des betrieblichen Eingliederungsmanagements enthält. Dieses ist vielmehr ein rechtlich regulierter "Suchprozess", der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll (BAG Urteil vom 10. Dezember 2009, Az: 2 AZR 400/08, AP Nr. 48 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Gleichwohl lassen sich aus dem Gesetz gewisse Mindeststandards ableiten. Ziel des betrieblichen Eingliederungsmanagements ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist und ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden. Danach entspricht jedes Verfahren den gesetzlichen Anforderungen, das die zu beteiligenden Stellen, Ämter und Personen einbezieht, keine vernünftigerweise in Betracht zu ziehende Anpassungs- und Änderungsmöglichkeit ausschließt und in dem die von den Teilnehmern eingebrachten Vorschläge sachlich erörtert werden (BAG Urteil vom 10. Dezember 2009, Az: 2 AZR 400/08, AP Nr. 48 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Weiterhin ist die betroffene Person vor der Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auf dessen Ziele sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Diese Vorschrift dient der bestmöglichen Vorbereitung des Verfahrens durch den Arbeitnehmer. Nur wenn ihm Gelegenheit gegeben wird, den Termin vorzubereiten, kann der dargestellte Zweck erfüllt werden (LAG Niedersachsen, Urteil vom 23. Juni 2008, Az: 14 Sa 1713/07, zitiert nach juris). Diesen Anforderungen werden die arbeitsmedizinischen Untersuchungen nicht gerecht.

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte bereits nicht dargelegt, dass sie dem Kläger vor den arbeitsmedizinischen Untersuchungen mitgeteilt hat, diese würden im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements mit dem Ziel durchgeführt werden, seine krankheitsbedingten Fehlzeiten zu mindern. Infolgedessen konnte sich der Kläger auf die arbeitsmedizinischen Untersuchungen nicht so vorbereiten, dass der Zweck eines betrieblichen Eingliederungsmanagements erfüllt wird. Ebenso wenig hat die Beklagte dargelegt, dass sie die Ärzte darauf hingewiesen hat, die medizinischen Untersuchungen würden im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements durchgeführt werden. Ferner kann nach den Darlegungen der Beklagten nicht angenommen werden, dass sie den Betriebsrat ordnungsgemäß im Sinne des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zu diesen Maßnahmen hinzugezogen hat. Gerade die Beteiligung des Betriebsrates am betrieblichen Eingliederungsmanagement soll jedoch sicherstellen, dass im Rahmen dieses Verfahrens geklärt werden kann, welche betrieblichen Möglichkeiten zur Minderung weiterer krankheitsbedingter Fehlzeiten bestehen. Dafür reicht es nicht aus, wenn die Beklagte - wie sie behauptet - dem Betriebsrat im Nachhinein lediglich das Ergebnis der arbeitsmedizinischen Untersuchungen in Kopie zuschickt. Vielmehr soll der Betriebsrat an dem betrieblichen Eingliederungsmanagement so beteiligt werden, dass er in die Lage versetzt wird, aktiv im Zusammenwirken mit den übrigen Beteiligten eigene Vorschläge zu unterbreiten (vgl. Hessisches LAG Urteil vom 13. Juli 2007, Az: 10 Sa 140/07, zitiert nach juris). Schließlich können arbeitsmedizinische Untersuchungen und ein betriebliches Eingliederungsmanagement schon deshalb nicht gleich gesetzt werden, weil beide Maßnahmen auf einen unterschiedlichen Sinn und Zweck ausgerichtet sind. Auf die zutreffenden und differenzierten Ausführungen des Arbeitsgerichtes wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

cc.) Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements war im vorliegenden Fall auch deshalb nicht entbehrlich, weil die Erkrankungen des Klägers nach den arbeitsmedizinischen Untersuchungen in keinem Zusammenhang mit seinem Arbeitsplatz standen.

Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass den Ergebnissen der arbeitsmedizinischen Untersuchungen der genaue Untersuchungsumfang nicht entnommen werden kann. So ist den Stellungnahmen nicht zu entnehmen, ob in den Untersuchungen lediglich ein etwaiger Zusammenhang zwischen den gegenwärtigen Erkrankungen des Klägers und seinem Arbeitsplatz abgeklärt worden ist oder ob man auch eine mögliche Beziehung zwischen einer grundsätzlichen Krankheitsanfälligkeit und dem Arbeitsplatz des Klägers untersucht hat. Lediglich in der Untersuchung vom Januar 2010 ist die Ärztin zu dem Ergebnis gekommen, dass sich keine Hinweise darauf ergeben haben, "dass die gehäuften krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz stehen könnten." (Bl. 37 d. A.). Die anderen Untersuchungsergebnisse beschränken sich dagegen auf die Aussage, dass "keine gesundheitlichen Bedenken" bestehen (Bl. 38 und 135 d. A.). Diese Aussage ist aber nicht gleichbedeutend mit der Feststellung, dass der Kläger bei einem unveränderten Einsatz an seinem bisherigen Arbeitsplatz nicht im gleichen Umfang wie in der Vergangenheit erkranken werde. Ebenso wenig ist klar, ob der oder die betreffende Arzt/Ärztin vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Krankheitsanfälligkeit des Klägers auch die Notwendigkeit alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten oder sonstiger Lösungsansätze bedacht hat. Hätte ein Arzt jedoch nicht nur die jeweils aktuellen Erkrankungen des Klägers, sondern seine gesamte gesundheitliche Biographie in den Blick genommen, so kann nicht ausgeschlossen werden, dass er vor diesem Hintergrund nicht doch empfohlen hätten, den Kläger an einer anderen, gesundheitlich weniger belastenden Maschine einzusetzen. Vor diesem Hintergrund hat das erstinstanzliche Gericht nicht die Darlegungs- und Beweislast der Beklagten verkannt, wenn es zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Ergebnisse der arbeitsmedizinischen Untersuchungen die Beklagte nicht davon entbinden darzulegen, warum z. B. der Einsatz an einer weniger belastenden Maschine, die Unterbindung von Zugluft oder eine Teilzeitbeschäftigung nicht zu einem Rückgang der krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers geführt hätten.

Schließlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass der überdurchschnittlichen Krankheitsanfälligkeit des Klägers nicht durch ein diszipliniertes Gesundheitsmanagement (auch im privaten Bereich) begegnet werden könnte. Dem kann die Beklagte nicht entgegen halten, dass sich das betriebliche Eingliederungsmanagement - ausweislich seiner Bezeichnung - nur auf betriebliche Maßnahmen beschränkt, ein etwaiges privates Gesundheitsmanagement somit nicht Gegenstand eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist. Auch wenn ein Arbeitgeber z. B. nicht verpflichtet ist, seinen Arbeitnehmer zu mehr Sport, einer gesünderen Ernährung oder sonstigen Maßnahmen anzuhalten, die seine private Lebensweise betreffen, so folgt aus dem Zweck des betrieblichen Eingliederungsmanagements, nämlich die Ursachen der bisherigen Ausfallzeiten zu klären und etwaige Möglichkeiten aufzuzeigen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, dass im Rahmen eines derartigen Verfahrens auch erörtert werden muss, ob ein Arbeitnehmer durch Veränderungen seiner generellen (d. h. auch privaten) Lebensweise seine gesundheitliche Verfassung gerade bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten verbessern kann. Stellt sich im betrieblichen Eingliederungsmanagement heraus, dass ein Arbeitnehmer durch Veränderungen seiner privaten Lebensweise seine Krankheitsanfälligkeit verringern kann, so ist der Arbeitnehmer gehalten, dieses so erarbeitete Konzept durch ein konsequentes Gesundheitsmanagement umzusetzen. Der Arbeitnehmer ist somit ebenso wie der Arbeitgeber verpflichtet, das Ergebnis eines betrieblichen Eingliederungsmanagements durchzuführen (vgl. zu der entsprechenden Verpflichtung des Arbeitgebers: BAG Urteil vom 10. Dezember 2009, Az: 2 AZR 400/08, AP Nr. 48 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Insoweit ist der Beklagten Recht zu geben, dass die Umsetzung des im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements erarbeiteten Konzeptes nicht ihr, sondern dem Arbeitnehmer obliegt. Die Erarbeitung eines derartigen Konzeptes ist jedoch noch Bestandteil des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Erst wenn sich herausstellt, dass ein Arbeitnehmer mit überdurchschnittlicher Krankheitsanfälligkeit das im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements erarbeitete Gesundheitsmanagement nicht durchführt und deshalb weiterhin hohe Fehlzeiten aufweist, kann er einer krankheitsbedingten Kündigung nicht mehr entgegen halten, dass im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements Mittel gefunden worden wären, die vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung als milderes Mittel hätten umgesetzt werden müssen.

Ohne einen derartigen Versuch kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass ein betriebliches Eingliederungsmanagement kein positives Ergebnis hätte erbringen können.

Damit hätte die Beklagte substantiiert darlegen müssen, warum im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements keine Mittel zur Minderung der krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers gefunden worden wären. Dieses gilt insbesondere für den Einwand des Klägers, dass er sich mehrfach um einen Einsatz an einer weniger belastenden Maschine bemüht habe und dass seine Erkältungserkrankungen auf die Zugluft bei der Beklagten zurückzuführen seien. Dieses ist vorliegend jedoch nicht erfolgt. Vielmehr beschränkt sich die Beklagte zum Einen darauf zu begründen, warum die arbeitsmedizinischen Untersuchungen einem betrieblichen Eingliederungsmanagement gleich zustellen seien, und zum Anderen darauf darzulegen, warum im vorliegenden Fall ein betrieblichen Eingliederungsmanagement entbehrlich gewesen ist.

3.) Ist das Arbeitsverhältnis demnach nicht durch die Kündigung vom 29. November 2011 aufgelöst worden, so ist der Kläger in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (vgl. insoweit BAG Großer Senat Beschluss vom 27. Februar 1985, Az: GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits als Maschinenführer weiter zu beschäftigen.

Zu den Rechten aus dem Arbeitsverhältnis gehört auch ein klagbarer Anspruch auf Weiterbeschäftigung, den der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts aus § 611 i.V.m. § 242 BGB, Art. 1 und 2 GG abgeleitet hat (BAG Großer Senat Beschluss vom 27. Februar 1985, Az; GS 1/84, AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 14). Der Anspruch besteht während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses und ist zu bejahen, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers nicht entgegenstehen. Dieses ist grundsätzlich nach einem erstinstanzlichen Obsiegen im Kündigungsschutzprozess, wie hier ausgeurteilt, der Fall (BAG Großer Senat Beschluss vom 27. Februar 1985, Az: GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). Im vorliegenden Fall hat der Kläger ein obsiegendes Urteil im Kündigungsrechtsstreit erstritten. Überwiegende Arbeitgeberinteressen an seiner Nichtbeschäftigung sind nicht dargelegt.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG ist die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

Referenznummer:

R/R6144


Informationsstand: 08.05.2014