Urteil
Leistungen zur behinderungsgerechten Einrichtung von Arbeitsplätzen für schwerbehinderte Menschen durch das Integrationsamt - Neubau der Betriebsstätte

Gericht:

VG Bayreuth


Aktenzeichen:

3 K 12.582 | 3 K 12/582


Urteil vom:

19.02.2014


Grundlage:

Tenor:

1. Der Bescheid des Beklagten vom 26.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.05.2012 wird aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, die Anträge der Klägerin vom 03.03.2011 und 25.03.2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden.

2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Beklagte.

3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt vom Beklagten Förderung in Höhe von 131.705,00 EUR.

Die Klägerin ist die Muttergesellschaft des Konzerns ... (... AG - DTAG -). In der K-straße ... in N. errichtete die Klägerin ein Callcenter. Der Neubau dieses Callcenters ist an die hundertprozentige Tochtergesellschaft der Klägerin, die ... Kundenservice GmbH (DTKS), vermietet und wird von dieser genutzt.

Im Zuge dieses Neubaus begehrt die Klägerin Förderleistungen des Beklagten nach Maßgabe des § 102 Abs. 3 Nr. 2a SBG IX i. V. m. § 26 SchwbAV für behinderungsbedingte Aufwendungen in oben genannter Höhe für die schwerbehinderten Beamten der ... AG ..., die schwerbehinderten Angestellten der ... Kundenservice GmbH ... sowie die mittlerweile ausgeschiedene Mitarbeiterin ...

Sie beantragte mit Schreiben vom 03.03.2011 die Übernahme der Kosten für behinderungsbedingte Maßnahmen im Callcenter N. (13 automatische Türöffner für Gangtüren, 17 Feststellanlagen für Gangtüren und 4 behinderungsgerechte WCs) in Höhe von 98.445 EUR. Mit Schreiben vom 25.03.2011 ergänzte sie ihren Antrag auf Kostenübernahme für behinderungsbedingte Baumaßnahmen um 1 automatischen Türöffner für die Kantinentür und den Austausch von 11 Türschlössern gegen drehflügelantriebsgeeignete Motorschlösser samt der Installation der dazugehörigen Feuer-/Rauchmelder. Für diese Umbauten wurden zusätzlich 33.260 EUR angesetzt. Zur Begründung führte die Klägerin aus, dass im Erdgeschoss die schwerbehinderten Mitarbeiter ... und ..., im ersten Obergeschoss die schwerbehinderten Mitarbeiter ..., und ..., im dritten Obergeschoss ... und im fünften Obergeschoss ... arbeiten und diese Mitarbeiter aufgrund ihrer Behinderung Umbaumaßnahmen im Rahmen der Barrierefreiheit benötigen würden.

Am 10.03.2011 stimmte der Beklagte dem vorzeitigen Beginn der Maßnahme zu, wies in seinem Schreiben jedoch ausdrücklich darauf hin, dass das Finanzierungsrisiko der Maßnahme bei der Klägerin liege, die Zustimmung kein sachlicher Vorbescheid hinsichtlich des Förderungsantrags sei und die Zustimmung auch keinen Anspruch auf Erlass eines zustimmenden Bewilligungsbescheids begründe.
Mit Bescheid vom 26.01.2012 lehnte der Beklagte die Förderung ab. Da die Klägerin als Bauherr durch DIN Normen bereits dazu verpflichtet sei, Arbeitsstätten behinderungsgerecht herzustellen, und die Maßnahme nicht einzelne Arbeitsplätze sondern Arbeitsstätten beträfen, bestehe kein Raum für Förderung.

Nach Maßgabe des § 102 Abs. 3 Nr. 2a SBG IX i. V. m. § 26 SchwbAV könne eine behindertengerechte Einrichtung von Arbeitsplätzen gefördert werden. Die von der Klägerin beantragten Zuschüsse beträfen jedoch Maßnahmen, die nicht der Errichtung eines Arbeitsplatzes, sondern einer Arbeitsstätte dienen. Es handele sich hier um den Neubau eines Gebäudes, in dem viele Arbeitsplätze untergebracht seien. Automatische Türöffner und die Feststellanlage von Flurtüren dienten gerade nicht der Einrichtung eines bestimmten Arbeitsplatzes, sondern nur der Erreichbarkeit unterschiedlicher Arbeitsbereiche innerhalb der Arbeitsstätte. Im Flur einer Arbeitsstätte müssten sich Beschäftigte nicht für einen längeren Zeitraum aufhalten; dieser diene damit nicht ihrem Aufenthalt. Dasselbe gelte für behinderungsgerechte Toiletten. Damit handele es sich weder hinsichtlich der Flure noch der Toiletten um Arbeitsplätze; bereits aus diesem Grund seien die Maßnahmen nicht förderfähig.

Darüber hinaus habe ein Arbeitgeber Arbeitsstätten nach den technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR V3.2 zur barrierefreien Gestaltung von Arbeitsplätzen) so zu errichten, dass die Belange der beschäftigten Menschen mit Behinderung im Hinblick auf Sicherheit und Gesundheitsschutz berücksichtigt werden. Zudem seien Neubauten von Arbeitsstätten im Rahmen der Chancengleichheit für schwerbehinderte Menschen nach DIN 18040 so zu errichten, dass die barrierefreie Erreichbarkeit einzelner Etagen, Gebäudekomplexe und Großraumbüros sowie eine geeignete Gestaltung der Sanitär-, Sozial- und Besprechungsräume bzw. deren barrierefreie Erreichbarkeit sichergestellt ist.

Aus fachtechnischer Sicht liege ein förderfähiger, also behinderungsbedingter Mehraufwand lediglich bei der behinderungsgerechten Ausgestaltung einzelner Arbeitsplätze vor. Dieser einzelfallbezogene Bedarf müsse bei Neubauten über die Mindestanforderungen der DIN 18040 hinausreichen. Dies könne beispielsweise eine Türverbreiterung am Einzelarbeitsplatz sein.

Auch habe der technische Berater des Integrationsamts festgestellt, dass die beantragten Maßnahmen bei vorausschauender Planung unter Einbeziehung der Schwerbehindertenvertretung auch ohne signifikante Mehrkosten zielführend und effizient hätten umgesetzt werden können. Sollte eine solche Planung nicht existieren, liege ein Planungsfehler vor, der nicht durch Zuschüsse des Integrationsamts ausgeglichen werden könne.

Mit Schreiben vom 16.02.2012, eingegangen am 20.02.2012, legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 26.01.2012 ein. Es liege ein Ermessensausfall der Behörde vor, da im Bescheid vom 26.01.2012 die Tatbestandvoraussetzungen des § 26 Abs. 1 Nr. 1 SchwbAV hinsichtlich des Begriffs der Arbeitsstätte unzulässig verkürzt würden. Nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 SchwbAV seien auch Arbeitsstätten förderfähig. Die Höhe der Leistungen nach § 26 Abs. 2 SchwbAV sei davon abhängig, ob besonders betroffene schwerbehinderte Personengruppen beschäftigt werden und ob eine Beschäftigung über die Beschäftigungspflicht hinaus erfolge. Die Klägerin übertreffe die Beschäftigungsquote für schwerbehinderte Menschen mit 8,88% bei weitem. Im Übrigen sage die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Arbeitsstätte und den Arbeitsplatz barrierefrei zu gestalten, nichts über die Förderfähigkeit der dafür notwendigen Maßnahmen aus. Zudem gelte die DIN 18040 nur für öffentlich zugängliche Gebäude und davon könne bei einem Callcenter keine Rede sein. Auch liege kein Planungsfehler der Klägerin vor; die behinderungsbedingt erforderlichen Maßnahmen seien im Zusammenhang mit der Realisierung der Gesamtbaumaßnahme des Callcenters zeitgleich umgesetzt worden; signifikante Mehrkosten seien nicht entstanden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2012 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin sei nicht antragsberechtigt, denn sie sei kein Arbeitgeber im Sinne von § 102 Abs. 3 Nr. 2a SGB IX: Sie beschäftige in dem Neubau, für den sie Zuschüsse beantragt hat, keine Arbeitnehmer. Die Mitarbeiterinnen ... und ... seien direkt von der DTKS angestellt worden. Ähnliches gelte hinsichtlich der schwerbehinderten Beamten ..., und ... Diese Personen seien von der Klägerin der DTKS zur Beschäftigung zugewiesen worden. Beschäftigt würden sie somit von und im Betrieb der DTKS. Deshalb sei die Klägerin in Bezug auf die im Antrag genannten Beamten wie ein Verleiher von Arbeitnehmern zu behandeln. Die Leiharbeitnehmer seien in den Betrieb des Entleihers eingegliedert, unterliegen dessen Gestaltungsmacht und befänden sich in dessen Verantwortungsbereich. Deshalb sei allenfalls der Entleiher anspruchsberechtigt. Diesem seien hier aber keine Kosten entstanden. Deshalb könne auch dahinstehen, ob die Klägerin in Vertretung der DTKS die Anträge gestellt habe.

Mit Schriftsatz vom 31.05.2012, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach eingegangen am 01.06.2012, erhob die Klägerin Klage.

Sie beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 26.01.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.05.2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Zur Begründung wird darauf hingewiesen, dass die Klägerin die Muttergesellschaft des Konzerns ... und die ... Kundenservice GmbH (DTKS) eine ihrer Tochtergesellschaften sei.

Es sei zwar zutreffend, dass die Klägerin arbeitsvertraglich nicht mit den Mitarbeiterinnen der DTKS verbunden sei, doch sei eine Verengung des Arbeitgeberbegriffs auf die arbeitsvertragliche Sichtweise wegen der konzernrechtlichen und betriebswirtschaftlichen Realität nicht ausreichend. Der Konzern ... habe alle Aufgaben, die sich aus den Rechten und Pflichten nach dem SGB IX ergeben, in seinem Betrieb Sozialstrategie, Beamten- und Dienstrecht (SBR) zentralisiert. Einnahmen und Ausgaben der SBR würden in den handelsrechtlichen Konzernabschluss einfließen. Die konzernweite, zentrale Aufgabenwahrnehmung der Klägerin durch den Betrieb SBR diene der Integration schwerbehinderter Menschen, da die SBR spezielles Fachwissen bereithalte, um Leistungen an schwerbehinderte Menschen nach § 81 Abs. 4 SGB IX zügig und sachgerecht gewähren zu können. Deshalb betrachte sich die Klägerin als Konzernarbeitgeberin. Zudem würde die Klägerin im Verhältnis zu anderen Unternehmen benachteiligt, wenn sie aufgrund ihrer konzernrechtlichen Struktur und Organisation von Leistungen nach § 102 Abs. 3 Nr. 2 SGB IX ausgeschlossen wäre.
Soweit es um die schwerbehinderten Beamten der Klägerin gehe, halte sie die Betrachtung des Beklagten, sie sei wie ein Verleiher von Leiharbeitnehmern zu behandeln, nicht für zutreffend. Der Beamte werde nicht einer Gesellschaft, sondern dem Beamten werde eine Tätigkeit zugewiesen. Zwar gelange der betroffene Beamte in die Sphäre der jeweiligen Tochtergesellschaft, es müssten aber auch hier die konzernrechtlichen Strukturen hinreichend berücksichtigt werden, um die Klägerin nicht sachwidrig von Förderleistungen auszuschließen.

Schließlich würde die Ablehnung einer Förderung der bisherigen Praxis widersprechen, da der Beklagte der Klägerin in der Vergangenheit mehrere Hunderttausend Euro aus Mitteln der Ausgleichsabgabe für behindertengerechte Baumaßnahmen gewährt habe.

Der Beklagte beantragt mit Schreiben vom 24.07.2012,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und die im Zustimmungsverfahren gewechselten Schriftsätze. Der Bescheid sei materiell rechtmäßig. Der Arbeitgeberbegriff in § 102 Abs. 3 Nr. 2 SGB IX sei nicht dergestalt auszulegen, dass die Klägerin als Konzernarbeitgeber anspruchsberechtigt werde. Einen Konzernarbeitgeber habe der Gesetzgeber weder bei den Rechten noch bei den Pflichten des SGB IX vorgesehen. Auch werde die Klägerin nicht gegenüber anderen Unternehmen benachteiligt, da alle Unternehmen gleich behandelt werden würden. Das Integrationsamt Mittelfranken habe im Übrigen in der Vergangenheit der Klägerin keine Mittel bei einer vergleichbaren Sachlage gewährt.

Mit Schriftsatz vom 03.04.2013 machte der Beklagte noch hilfsweise Ermessenserwägungen zur Ablehnung des Antrags geltend. Nach den technischen Regeln für Arbeitsstätten - ASRV 3.2 - zur barrierefreien Gestaltung von Arbeitsstätten sei jeder Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitsstätten so einzurichten und zu betreiben, dass die besonderen Belange der dort beschäftigten Menschen mit Behinderungen im Hinblick auf Sicherheit und Gesundheitsschutz berücksichtigt werden. Da die Mittel aus der Ausgleichsabgabe jedoch begrenzt seien, könne eine generelle Förderung derartiger Maßnahmen nicht erfolgen. Aus diesem Grund sei geprüft worden, ob Zuschüsse für Maßnahmen beantragt worden seien, die über die allgemeine Pflicht zur barrierefreien Gestaltung einer Arbeitsstätte hinausreichten, ob diese Maßnahmen sich konkret auf den Erhalt eines Arbeitsplatzes bezogen hätten, und inwieweit es dem Antragsteller zumutbar sei, die entstehenden Kosten selbst zu tragen. Insbesondere bei Neubauten sei aus Sicht des Beklagten ein strengerer Prüfungsmaßstab anzulegen, da nach der Stellungnahme des technischen Beraters davon auszugehen sei, dass im Rahmen eines Neubaus bei sachgerechter und rechtzeitiger Einplanung der besonderen behinderungsgerechten Gestaltung nur unwesentliche Mehrkosten anfallen würden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass auch bei nicht barrierefreier Gestaltung Aufwendungen für Türen, WC-Anlagen und Feuermeldeanlagen entstünden. Der bloße Mehraufwand für die barrierefreie Ausgestaltung sei nicht beziffert worden. Besonders aufwändige Umbauten für einzelne Arbeitnehmer seien nicht vorgetragen worden. Zwar werde nicht verkannt, dass die Beschäftigungsquote bei der Klägerin das geforderte Mindestmaß deutlich überschreite, doch ändere dies die ablehnende Entscheidung nicht.

In diesem Zusammenhang verwies der Beklagte auf in den vergangenen Jahren bereits bewilligten Leistungen für behinderungsgerechte Zugänge, z. B. einen Toilettenlift sowie EVAC-Chairs u. a. in Höhe von insgesamt 203.070,87 EUR für die im Antrag genannten Arbeitnehmer und die Beamten ... und ... Darüber hinaus sei der Klägerin als großes Unternehmen ein höherer Betrag zuzumuten als einem kleinen Arbeitgeber. Bei einem Neubau in dieser Größenordnung sei aus Sicht des Beklagten die Tragung der eher als gering einzustufenden Zusatzkosten für die barrierefreie Gestaltung, auf die die Arbeitnehmer einen Anspruch hätten, zuzumuten. Die Klägerin habe keine Gründe vorgetragen, aus denen sich die Unzumutbarkeit der Kostentragung ergebe.

Mit Beschluss vom 10.07.2012 erklärte sich das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach für örtlich unzuständig und verwies das Verfahren an das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorgelegten Akten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

BAYERN.RECHT

Entscheidungsgründe:

Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.

1. Die zulässige Klage hat Erfolg.

Der Bescheid vom 26.01.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2012 ist wegen fehlender Ermessensausübung des Beklagten rechtswidrig und verletzt die Klägerin dadurch in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Er ist deshalb aufzuheben. Da das Gericht allerdings nicht anstelle des Beklagten das diesem zustehende Ermessen ausüben darf, hat dieser über den Antrag des Klägers nach Maßgabe dieser Entscheidungsgründe erneut zu befinden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Die Fördervoraussetzungen sind grundsätzlich gegeben.

1.1. Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IX ist das Integrationsamt (§ 101 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX) für die Verwendung der Ausgleichsabgabe nach § 77 SGB IX zuständig. Das Integrationsamt im Zentrum Bayern, Familie und Soziales (ZBFS) kann im Rahmen seiner Zuständigkeit für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln auch Geldleistungen erbringen. Nach § 102 Abs. 3 Satz 1 SGB IX kann diese Förderung (neben einer Förderung an schwerbehinderte Menschen und an Integrationsfachdienste) auch Arbeitgebern zur behinderungsgerechten Einrichtung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen gewährt werden. Die Bewilligung von Leistungen aus Mitteln der Ausgleichsabgabe liegt nach der genannten Vorschrift im pflichtgemäßen Ermessen des Integrationsamtes. Deshalb besteht grundsätzlich nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, nicht aber auf bestimmte Mittel oder auf eine bestimmte Art von Mitteln. Das Ermessen des Integrationsamtes ist durch den in § 77 Abs. 5 Satz 1 SGB IX gesetzlich vorgeschriebenen Verwendungszweck der Ausgleichsabgabe determiniert und begrenzt.

Die durch die Integrationsämter erhobene Ausgleichsabgabe darf nach § 77 Abs. 5 Satz 1 SGB IX nur für besondere Leistungen zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben einschließlich begleitender Hilfe im Arbeitsleben (§ 102 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX) verwendet werden, soweit Mittel für denselben Zweck nicht von anderer Seite zu leisten sind oder geleistet werden.
1.1.1. Die Klägerin ist als Arbeitgeberin im Sinn der § 102 Abs. 3 Nr. 2 SGB IX und § 26 Abs. 2 SchwbAV jedenfalls hinsichtlich der bei ihr beschäftigten Beamten förderberechtigt.

Die Aktiengesellschaft ... AG (DTAG) wurde gemäß Art. 143 b Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 PostPersRG ermächtigt, die dem Dienstherrn Bund obliegenden Rechte und Pflichten gegenüber den bei ihnen beschäftigten Beamten wahrzunehmen. Davon unberührt ist das jeweilige beamtenrechtliche Grundverhältnis zwischen einzelnen Beamten und der Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 2 Abs. 3 PostPersRG). Bei der Beschäftigung eines Beamten in der DTAG handelt es sich um den gesetzlich vorgesehenen Einsatz von Beamten bei einem zwar privatrechtlich organisierten und auf Gewinnerzielung ausgerichteten, aber nach dem Beleihungsmodell zur Ausübung der Aufgaben eines Dienstherrn des Bundes ermächtigten Unternehmen. Demzufolge ist nach § 2 PostPersRG ein Beamter nach Eintragung der Aktiengesellschaft in das Handelsregister bei dieser beschäftigt. Der Klägerin wurde insofern die Funktion des Arbeitgebers verliehen.
Insbesondere bewirkt die Zuweisung von Tätigkeiten (nach § 4 Abs. 4 Satz 2 PostPersRG) im Tochter-/Enkelunternehmen ... Kundenservice GmbH (DTKS) keinen Übergang der Dienstherren- bzw. Arbeitgebereigenschaft an diese. Das Personal in den Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost sollte zwar mit größerer Flexibilität eingesetzt werden können, die Rechtsstellung der bei der damaligen Deutschen Bundespost tätigen Beamten aber nicht geschmälert und das Institut des Berufsbeamtentums nicht verändert werden (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.06.2006, Az. 2 C 26/05, BVerwGE 126, 182, mit Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 05.06.2002, Az. 2 BvR 2257/96 - juris -). Die Zuweisung nach § 4 Abs. 4 PostPersRG wird daher auch als ein dem Institut der Abordnung nachgebildetes Instrument verstanden, um die mit der Konzernbildung sich ergebenden personalwirtschaftlichen Probleme zu lösen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 09.02.2012, Az. IV R 22/10 - juris - Rdnr. 14). Da bei einer Abordnung die dienstrechtliche Zugehörigkeit zur bisherigen Stammdienststelle (Stammbehörde) aufrechterhalten bleibt, vermag auch die Zuweisung von Tätigkeiten in einem Tochter- bzw. Enkelunternehmen nicht die Aufgaben des Dienstherrn bzw. Arbeitgebers zu verschieben, zumal eine solche Zuweisung u.U. auch wieder geändert werden kann. Darüber hinaus sieht Art. 143b GG die Weitergabe der Dienstherrnbefugnisse an weitere privatrechtlich tätige Unternehmen nicht vor.

Auch der Gebrauch der Ermächtigungen zur Übertragung (lediglich) von Befugnissen einer Dienstbehörde an Organisationseinheiten der Klägerin in § 1 Abs. 4 oder § 3 Abs. 1 PostPersRG lässt die Aufgabenübertragung des Dienstherrn Bund an die DTAG unberührt. Insofern lässt die Übertragung von Befugnissen einer Dienstbehörde in Nr. I 1a DTAGBefugAnO vom 21.06.2010 (BGBl I S. 1044) auf den "Betrieb Sozialstrategie, Beamten- und Dienstrecht", einer Organisationseinheit der Klägerin, nicht die Arbeitgebereigenschaft der Klägerin entfallen. Im Übrigen wurden diese Befugnisse mit der DTAGBefugAnO vom 19.03.2013 (BGBl I S. 604) nunmehr auf den "Betrieb Civil Servant Services /Social Matters /Health &Safety" übertragen.

Offen bleiben kann deshalb die Arbeitgebereigenschaft hinsichtlich der bei der DTKS angestellten Mitarbeiter, auch wenn diesbezüglich große Zweifel bestehen. Arbeitgeber ist nach allgemeiner Definition, wer die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers kraft Arbeitsvertrages fordern kann und das Arbeitsentgelt schuldet. Die Arbeitgeberstellung wird maßgeblich vom Direktionsrecht geprägt, kraft dessen der Arbeitgeber die konkrete Leistungspflicht des Arbeitnehmers hinsichtlich Art, Ort und Zeit näher gestalten kann. Die Arbeitgeberstellung definiert sich demnach nach der arbeitsvertraglichen Sichtweise. Den vorgelegten Unterlagen zufolge liegen jeweils Arbeitsverträge, geschlossen zwischen den Beschäftigten ... und ... mit der DTKS, vor. Ein Konzernarbeitgeber, wie von der Klägerin vorgetragen, ist im Gesetz nicht zu finden. Vielmehr ist § 81 SGB IX zu entnehmen, dass Arbeitgeber derjenige ist, der den schwerbehinderten Menschen tatsächlich einstellt und beschäftigt und auch wieder entlassen kann. Wäre die Arbeitgebereigenschaft nicht mehr dem Arbeitsvertrag zu entnehmen, könnte dies bei großen Konzernen mit Tochter- und Enkelunternehmen dazu führen, dass die Feststellung der Arbeitgebereigenschaft nicht mehr eindeutig zu bestimmen wäre, was unüberschaubare Konsequenzen nach sich ziehen könnte.

Eine Auslagerung und Bündelung der Fürsorgepflicht gegenüber schwerbehinderten Arbeitnehmern mehrerer oder aller Tochter- bzw. Enkelunternehmen der Klägerin auf besondere Organisationseinheiten im Konzern mag durchaus positive Effekte haben, eine Veränderung der Arbeitgebereigenschaft nur hinsichtlich der schwerbehinderten Angestellten bewirkt dies jedoch eher nicht.
Das Gericht verkennt dabei nicht, dass das mögliche Auseinanderfallen von Arbeitgebereigenschaften für - in dem Unternehmen DTKS und in einem Gebäude - tätige Beamte und Angestellte hinsichtlich der Antragsbefugnis zur Förderung von Investitionen zur Barrierefreiheit in diesem Gebäude durchaus zu Problemen führen kann.

1.1.2. Die beantragten Maßnahmen sind grundsätzlich förderfähig. Die Förderung nach § 102 Abs. 3 Nr. 2a SGB IX beschränkt sich nicht auf einzelne Arbeitsplätze ohne Rücksicht auf ein behinderungsgerechtes Umfeld. Aufgabe dieses Gesetzes ist es in erster Linie, die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Leben in der Gesellschaft (§ 1 SGB IX) zu ermöglichen und damit auch die Teilhabe am Arbeitsleben dauerhaft zu sichern (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX). Aus diesem Grund würde die Beschränkung von Hilfeleistungen auf einzelne Arbeits- oder Ausbildungsplätze dem Sinn und Zweck des Gesetzes zuwiderlaufen. Vielmehr umfassen die Hilfeleistungen folgerichtig auch das behinderungsgerechte Umfeld von einzelnen Arbeitsplätzen und damit auch die behinderungsgerechte Einrichtung von Arbeits- und Ausbildungsstätten sowie sonstige Maßnahmen. Deutlich wird dies in den Bestimmungen der §§ 17 ff. SchwbAV. Gemäß § 26 Abs. 1 SchwbAV können Arbeitgeber Darlehen oder Zuschüsse bis zur vollen Höhe der entstehenden notwendigen Kosten z. B. für die behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte (§ 26 Abs. 1 Nr. 1 SchwbV) sowie für sonstige Maßnahmen, durch die eine möglichst dauerhafte behinderungsgerechte Beschäftigung schwerbehinderter Menschen in Betrieben oder Dienststellen ermöglicht, erleichtert oder gesichert werden kann (§ 26 Abs. 1 Nr. 4 SchwbAV), erhalten, wobei sich nach § 26 Abs. 2 SchwbAV die Art und Höhe der Leistung nach den Umständen des Einzelfalles richtet.

Das Gebäude der Klägerin kann entgegen der Auffassung des Beklagten unter den Begriff der Arbeitsstätte im Sinn des § 2 Abs. 1 ArbStättV subsumiert werden; dafür spricht die Bestimmung in § 2 Abs. 4 ArbStättV, wonach zur Arbeitsstätte u. a. auch Verkehrswege und Fluchtwege, Sanitärräume sowie Einrichtungen gehören, soweit für diese in dieser Verordnung besondere Anforderungen (vgl. § 3a Abs. 2 ArbStättV) gestellt werden und sie dem Betrieb der Arbeitsstätte dienen.

Daneben sind die streitgegenständlichen Maßnahmen auch als Maßnahme im Sinn des § 26 Abs. 1 Nr. 4 SchwbAV (s.o.) grundsätzlich förderfähig. Die Teilhabe am Arbeitsleben, die durch dieses Gesetz ermöglicht und erleichtert werden soll, erschöpft sich nicht in der Bereitstellung eines Arbeitsplatzes, sondern beinhaltet notwendigerweise neben der Erreichbarkeit des eigenen Arbeitsplatzes bzw. anderer Arbeitsplätze u. a. auch die der sanitären Anlagen. Die Ausstattung des Gebäudes mit automatischen Türöffnern für Gangtüren und Kantinentür, mit Feststellanlagen für Gangtüren, drehflügelgeeigneten Motorschlössern sowie mit behinderungsgerechten WCs ist damit grundsätzlich förderfähig.

Eine Förderung von Feuer- und Rauchmeldern erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, soweit diese erst wegen der behinderungsbedingten drehflügelantriebsgeeigneten Motorschlösser erforderlich werden.

Die vom Beklagten angesprochene DIN 18040-1 gilt (nur) für die barrierefreie Planung, Ausführung und Ausstattung von öffentlich zugänglichen Gebäuden und deren Außenanlagen, wobei sich die Barrierefreiheit auf die Teile des Gebäudes und deren zugehörigen Außenanlagen bezieht, die für die Nutzung durch die Öffentlichkeit vorgesehen sind. Sie ist auf den vorliegenden Sachverhalt allerdings nicht anwendbar, da es sich bei einem Callcenter nicht um ein öffentlich zugängliches Gebäude handelt.

Zwar besteht nach § 3a ArbStättV (in Verbindung mit den technischen Regeln für Arbeitsstätten - ASR V3.2 - zur barrierefreien Gestaltung von Arbeitsplätzen), worauf der Beklagte verweist, eine Verpflichtung zur behinderungsgerechten Ausgestaltung von Arbeitsstätten. Danach hat ein Arbeitgeber, der Menschen mit Behinderungen beschäftigt, Arbeitsstätten so einzurichten und zu betreiben, dass die besonderen Belange dieser Beschäftigten im Hinblick auf Sicherheit und Gesundheitsschutz berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für die barrierefreie Gestaltung von Arbeitsplätzen sowie dazu zugehörenden Türen, Verkehrswegen, Fluchtwegen, Notausgängen, Treppen, Orientierungssystemen, Waschgelegenheiten und Toilettenräumen. Diese Verpflichtung gilt nach § 1 ArbstättV beim Einrichten (gemäß § 2 Abs. 5 Nr. 1 ArbStättV "bauliche Maßnahmen oder Veränderungen") und Betreiben von Arbeitsstätten. Doch schließt diese planerische und bauliche Verpflichtung eine Förderung zur Finanzierung und Erfüllung dieser Verpflichtung nicht von vornherein aus.
1.2. Da das Gericht die Fördervoraussetzungen gemäß § 102 Abs. 3 Satz 1 SGB IX als gegeben erachtet (Arbeitgebereigenschaft hinsichtlich der beschäftigten Beamten und Förderfähigkeit nach § 26 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 SchwbAV), ist vor der endgültigen Entscheidung über den Förderantrag die Ausübung des Ermessens durch den Beklagten erforderlich.

Diese erforderliche Ermessensausübung fehlt jedoch. Sie ist weder im Ausgangsbescheid vom 26.01.2012 noch im Widerspruchsbescheid vom 03.05.2012 enthalten. Der Beklagte mag in diesen Bescheiden zwar durchaus erkannt haben, dass Entscheidungen nach § 102 SGB IX i. V. m. § 26 SchwbAV eine Ermessensausübung vorsehen. Er hatte allerdings keine Veranlassung dies zu tun, weil er irrtümlich davon ausging, dass die Maßnahmen schon nicht förderfähig sind. Auch im Widerspruchsbescheid vom 03.05.2013 fehlen Ausführungen zum Ermessen, weil auch hier die Förderfähigkeit der Maßnahme - wenn auch aus anderen Gründen wie im Ausgangsbescheid - verneint wurde.

Hat die Behörde allerdings - aus welchen Gründen auch immer - von ihrem notwendigerweise auszuübenden Ermessen keinen Gebrauch gemacht, ist die Entscheidung ermessensfehlerhaft und aufzuheben (§ 114 VwGO). Die nachträgliche Mitteilung von Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren vermag diesen Fehler nicht zu beheben. Zwar ist gemäß § 114 Satz 2 VwGO eine Ergänzung von Ermessenserwägungen grundsätzlich auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren möglich, doch setzt eine "Ergänzung" denknotwendig eine Ermessensausübung bereits im behördlichen Verfahren - in welcher Form und in welchem Umfang auch immer - voraus. Das Gericht selbst hat keine Befugnis, diese Ermessensausübung im gerichtlichen Verfahren zu ersetzen.

1.3. Die Art und Höhe der Förderung bestimmt sich nach § 26 Abs. 2 SchwbAV nach den Umständen des Einzelfalles. Insbesondere soll danach berücksichtigt werden, ob eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Durchführung von Maßnahmen nach Absatz 1 gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 und 5 und Abs. 5 Satz 1 des SGB IX besteht und erfüllt wird, und ob schwerbehinderte Menschen ohne Beschäftigungspflicht oder über die Beschäftigungspflicht hinaus (...) beschäftigt werden. Nach § 26 Abs. 2 i. V. m. § 15 Abs. 2 SchwbAV sollen Leistungen nur erbracht werden, wenn sich der Arbeitgeber in einem angemessenen Verhältnis an den Gesamtkosten beteiligt.

2. Als Unterlegener hat der Beklagte gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtsgebühren werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

Referenznummer:

R/R7109


Informationsstand: 11.01.2017