Die Bescheide des Beklagten vom 24.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2006 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Parteien streiten über die Berechnung der Ausgleichsabgabe gemäß
§ 77 Abs. 1 SGB IX im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.
Der Kläger wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 01.11.2004, mit dem über das Vermögen der E.
GmbH & Co.
KG das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, zum Insolvenzverwalter bestellt. In der Firma wurden durchschnittlich in den Monaten Januar bis Oktober,
d. h. bis zur Insolvenzeröffnung, 77,3 Beschäftigte im Sinne des
§ 73 Abs. 1-3 SGB IX beschäftigt. Nach Insolvenzeröffnung im Monat November beschäftigte der Kläger zunächst noch 49 Arbeitnehmer und sodann nur noch zwei Arbeitnehmer im Dezember. Mit Anzeige vom 09.03.2005/30.03.2005 teilte der Kläger gemäß
§ 80 Abs. 2 SGB IX im Wege der Selbstermittlung die Höhe der Ausgleichsabgabe gemäß
§ 77 SGB IX für das Erhebungsjahr 2004 in folgender Weise mit, dass er für den Zeitraum vom 01.01. bis 31.10. eine Ausgleichsabgabe von 10.140,00
EUR errechnete, wobei die durchschnittliche Beschäftigtenzahl in diesem Zeitraum zugrunde gelegt wurde, und davon getrennt für die Zeit vom 01.11. bis 31.12. eine solche in Höhe von 210,00
EUR, die er als Masseschuld bis zum 30.03.2005 zahlte. Hinsichtlich der Ausgleichsabgabe über 10.140,00
EUR bat der Kläger die Agentur für Arbeit Braunschweig um Anmeldung zur Insolvenztabelle.
Mit einem ersten Bescheid vom 24.10.2005 - Az. 3 F. - teilte das Integrationsamt des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie dem Kläger mit, dass sich anstelle des Betrages von 10.140,00
EUR für die Zeit vom 01.01. bis 31.10. lediglich ein Betrag von 8.883,33
EUR ergebe. Grund für die Änderung sei, dass ab dem Erhebungsjahr 2003 die Ermittlung der Ausgleichsabgabe durch eine jahresdurchschnittliche Berechnung erfolge und die Abgabe von getrennten Anzeigen für die Zeiträume vor und nach Insolvenzeröffnung nicht mehr möglich sei. Im Wege der jahresdurchschnittlichen Berechnung ergebe sich nach Zusammenführung der in den getrennten Anzeigen für die Betriebsnummern 21175458 und 21209135 gemachten Angaben eine Jahressumme von 10.660,00
EUR, somit je Monat 888,33
EUR, so dass für den Zeitraum vom 01.01. bis 31.10.2004 eine geänderte Forderung in Höhe von 8.883,83
EUR zur Insolvenztabelle angemeldet werde. Mit zweitem Bescheid vom 24.10.2005 - Az. 3 G. - teilte das Integrationsamt mit, dass aufgrund der Weiterführung des Betriebs nach Insolvenzeröffnung ohne Beschäftigung schwerbehinderter Menschen eine Ausgleichsabgabe für die Monate November und Dezember 2004 zu zahlen sei und sich wegen der ab dem Erhebungsjahr 2003 vorzunehmenden jahresdurchschnittlichen Berechnung für die Monate November und Dezember eine Ausgleichsabgabe von 1.776,67
EUR (888,33
EUR x zwei Monate) ergebe, so dass ein Restbetrag in Höhe von 1.566,67
EUR (1.776,67
EUR ./. 210,00
EUR bereits beglichener Forderung) noch zu überweisen sei.
Gegen diese Bescheide erhob der Kläger fristgerecht Widerspruch mit der Begründung, dass es sich bei der Ausgleichsabgabe ab dem 01.11.2005 um Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Insolvenzordnung handele. Die Ausgleichsabgabe könne nach Insolvenzeintritt nicht aufgrund einer jahresdurchschnittlichen Berechnung ermittelt werden. Denn bei einer solchen Ermittlung würden indirekt auch die Forderungen in der Rangklasse des § 38 InsO (einfache Insolvenzgläubiger) befriedigt werden. Dies sei insolvenzrechtlich unzulässig. Es seien lediglich isoliert der Monat
bzw. die Monate zu berücksichtigen, in denen er den Betrieb im eröffneten Insolvenzverfahren fortgeführt habe. Entsprechend gebe es auch zwei Betriebsnummern im Integrationsamt.
Unabhängig davon habe er mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Masseunzulänglichkeit im Sinne des § 208 InsO angezeigt. Dies bedeute, dass er nur deswegen die 210,00
EUR zum Ausgleich gebracht habe, weil er für diesen Zeitraum auch die "Leistung des Integrationsamtes" in Anspruch genommen habe. Dies entspreche der gesetzlichen Regelung des § 55 InsO, wonach er die Verbindlichkeiten zu entrichten habe, die er selber als Insolvenzverwalter begründet habe. Würde eine Quotelung vorgenommen, wie dies in den Bescheiden geschehen sei, so würden indirekt auch die Verbindlichkeiten in die Rangklasse des § 55 InsO fallen, die er als Insolvenzverwalter gerade nicht begründet habe, sondern die ihre Ursache in dem Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens hätten. Er würde dann damit eine Gläubigerbegünstigung vornehmen, die insolvenzrechtlich unzulässig sei.
Diesen Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss - 1. Kammer beim Niedersächsischen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie - Integrationsamt - in seiner Sitzung vom 31.01.2006 zurück. Zur Begründung macht er geltend, dass für die Berechnung der Ausgleichsabgabe eine jahresdurchschnittliche Beschäftigungsquote zu ermitteln sei, wobei die Unterteilung in kleinere Zeiträume und somit die Ermittlung abweichender Durchschnitte weder gesetzlich vorgesehen noch zulässig sei. Es ergebe sich vorliegend lediglich die Besonderheit, dass gemäß § 53 InsO der Teilbetrag von 1.776,67
EUR für die Monate November und Dezember 2004 als Masseverbindlichkeit nach § 55 InsO vom Insolvenzverwalter aus der Insolvenzmasse vorab zu berichtigen sei. Gleichzeitig errechne sich die mit Bescheid des Integrationsamtes für die Monate Januar bis Oktober festgestellte Forderung in Höhe von 8.883,83
EUR als Insolvenzforderung. Gemäß
§ 77 Abs. 4 Satz 1 SGB IX zahle der Arbeitgeber die Ausgleichsabgabe jährlich zugleich mit der von ihm nach
§ 80 Abs. 2 SGB IX an das für seinen Sitz zuständige Integrationsamt zu erstattenden Anzeige. Durch Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01.11.2004 sei das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, gemäß § 50 InsO auf den Insolvenzverwalter übergegangen. Damit seien die angefochtenen Bescheide formell und materiell rechtmäßig und rechnerisch richtig ergangen.
Hiergegen hat der Kläger am 07.04.2006 Klage erhoben, zu deren Begründung er sich auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren beruft. Die Monate, in denen er den Betrieb im eröffneten Insolvenzverfahren fortgeführt habe, müssten gesondert behandelt werden, da nur insoweit eine Zuordnung in die Rangklasse des § 55 InsO erfolgen könne. Dies folge aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Insolvenzgläubiger. Die Berechnungsvorschriften des
SGB IX müssten insoweit von den zwingenden Vorschriften der Insolvenzordnung verdrängt werden. Bei Zugrundelegung des Jahresdurchschnitts würden auch einfache Insolvenzforderungen als Masseverbindlichkeiten befriedigt werden, was die Insolvenzordnung nicht zulasse. Hinzu komme, dass der Kläger die Masseunzulänglichkeit angezeigt habe. In einem solchen Fall habe nach einhelliger Rechtsauffassung der Insolvenzverwalter nur die Ansprüche auszugleichen, deren Gegenleistung er entgegengenommen habe. Auch aus diesem Grunde scheide eine Befriedigung der Forderung als Masseverbindlichkeit aus.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Bescheide des Integrationsamtes vom 24.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2006 aufzuheben.
Das beklagte Amt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es bezieht sich auf die Gründe der angefochtenen Bescheide und weist ergänzend darauf hin, dass es sich im vorliegenden Falle nicht um zwei Arbeitgeber handele, die getrennt zu veranlagen wären.
Beide Parteien haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des beklagten Amtes Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Die Klage, über die gemäß § 101
Abs. 2
VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist zulässig und begründet. Der Streit über die Ausgleichsabgabe nach
§ 77 SGB IX ist dem öffentlichen Recht zuzuordnen, für dessen Entscheidung mangels Zuweisung an ein anderes Gericht der Verwaltungsrechtsweg offen steht (
vgl. entsprechend zu § 8
SchwbG:
BVerwG, Urt. v. 22.08.1985 -
5 C 18.82 -, zitiert nach Juris). Der Kläger, gegen den die angefochtenen Bescheide gerichtet sind, übt als Insolvenzverwalter ein ihm gesetzlich übertragenes Amt im eigenen Namen aus (§ 80
Abs. 1 InsO) und ist damit legitimiert, die Klage zu erheben.
Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113
Abs. 1 Satz 1
VwGO).
Rechtsgrundlage für die Erhebung der Ausgleichsabgabe ist
§ 77 Abs. 1 i. V. m.
§ 71 Abs. 1 SGB IX. Nach § 77
Abs. 1
SGB IX haben Arbeitgeber, solange sie die vorgeschriebene Zahl von schwerbehinderten Menschen nicht beschäftigten, eine Ausgleichsabgabe zu entrichten. Dies gilt damit gemäß § 71
Abs. 1
SGB IX für diejenigen privaten und öffentlichen Arbeitgeber, die jahresdurchschnittlich über mindestens 20 Arbeitsplätze im Sinne des
§ 73 SGB IX verfügen und die Quote von wenigstens 5 % der Arbeitsplätze, auf denen schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen wären, nicht erfüllen. Da von der in Insolvenz geratenen Firma E.
GmbH & Co.
KG Schwerbeschädigte nicht beschäftigt wurden, bestand danach die Verpflichtung zur Entrichtung dieser Ausgleichsabgabe. Die Daten zur Berechnung der Ausgleichsabgabe sind nach
§ 80 Abs. 2 SGB IX für das vorangegangene Kalenderjahr bis zum 31. März des Folgejahres der zuständigen Agentur für Arbeit, aufgegliedert nach Monaten, anzuzeigen, und eine Kopie der Anzeige ist zur Weiterleitung an das zuständige Integrationsamt beizufügen. Nach § 77
Abs. 4
SGB IX zahlt der Arbeitgeber jährlich zugleich mit der Erstattung der Anzeige nach § 80
Abs. 2 die Ausgleichsabgabe an das für seinen Sitz zuständige Integrationsamt. Dieses erlässt nach § 77
Abs. 4 Satz 2
SGB IX einen Feststellungsbescheid, wenn der Arbeitgeber mit der Zahlung der Ausgleichsabgabe in Rückstand ist und zieht die rückständigen Beträge ein. Die Höhe der Ausgleichsabgabe ist dabei gestaffelt nach der jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote und der Zahl der zu berücksichtigenden Arbeitsplätze, wobei es eine finanzielle Erleichterung für kleinere Betriebe gibt, in denen die jahresdurchschnittliche Arbeitsplatzzahl geringer als 40
bzw. 60 Beschäftigte ist. Das Aufkommen aus der Ausgleichsabgabe fließt zu 45 % in einen Ausgleichsfond und wird im Übrigen von den Integrationsämtern verwaltet, die es ausschließlich für Integrationszwecke zu verwenden haben.
Nach ihrem Sinn und Zweck soll die Ausgleichsabgabe die Arbeitgeber anhalten, Schwerbehinderte einzustellen - Antriebsfunktion -; ferner sollen die Belastungen zwischen denjenigen Arbeitgebern, die dieser Verpflichtung genügen, und denjenigen, die dieser Verpflichtung - aus welchem Gründen auch immer - nicht nachkommen, ausgeglichen werden - Ausgleichsfunktion (
vgl. BVerfG, Urt. v. 26.05.1981, BVerfGE 57, 139, 167
ff.). Die Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsabgabe entfällt grundsätzlich nur bei einer endgültigen Betriebseinstellung
bzw. wenn die Zahl der Arbeitsplätze jahresdurchschnittlich unter die Zahl 20 sinkt.
Die Parteien sind sich im vorliegenden Fall darüber einig, dass, wenn ein Betrieb nach Eröffnung der Insolvenz durch den Insolvenzverwalter zeitweise weitergeführt wird, die Ausgleichsabgabe auch für diesen Zeitraum bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen entsteht (
vgl. für die frühere vergleichbare Rechtslage nach der Konkursordnung und dem Schwerbeschädigtengesetz VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 16.06.1989 -
14 S 890/88-, zitiert nach Juris). Dabei sind sich die Parteien zutreffenderweise auch darüber einig, dass im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu unterscheiden ist zwischen der Ausgleichsabgabe, welche auf die Zeit vor und derjenigen, welche auf die Tage nach Eröffnung des Verfahrens entfällt. Zwar ist die Ausgleichsabgabe nach den genannten Vorschriften grundsätzlich nur einmal nachträglich zu entrichten - § 77
Abs. 4 Satz 1
SGB IX -, ihre Berechnung erfolgt nach § 77
Abs. 2
SGB IX aber für jeden Monat, in dem Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen nicht entsprechend
§ 71 i. V. m.
§ 72 SGB IX besetzt sind. Daraus folgt, dass der Tatbestand für die Entrichtung der Ausgleichsabgabe jeweils monatlich durch den Umstand verwirklicht wird, dass ein Arbeitgeber die vorgesehenen Pflichtarbeitsplätze nicht mit schwerbehinderten Menschen besetzt hat. Die Abgabe entsteht damit monatlich, auch wenn der Entrichtungszeitraum normalerweise ein Jahreszeitraum ist.
Die Insolvenzeröffnung hat zur Folge, dass die vor ihrer Eröffnung entstandenen Ausgleichsabgabeverpflichtungen Insolvenzforderungen werden (§ 38 InsO), die nach der Verfahrenseröffnung entstandenen Ausgleichsabgaben aber ebenso wie andere Verbindlichkeiten, die erst nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch die Verwaltung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens begründet werden, Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55
Abs. 1
Nr. 1 Alt. 2 InsO sind, welche gemäß § 53 InsO grundsätzlich vom Insolvenzverwalter vorweg zu befriedigen sind. Denn durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist das Recht, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten, auf den Insolvenzverwalter übergegangen (§ 80
Abs. 1 InsO). Die vom Insolvenzverwalter (im Interesse der Masse) vorgenommene vorübergehende Betriebsfortführung - die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bedingt keine Betriebseinstellung und lässt auch grundsätzlich die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten zunächst unberührt -, führt deswegen dazu, dass die Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsabgabe bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen weiter entsteht.
Die sich somit aus dem Insolvenzrecht ergebende Notwendigkeit, die Ausgleichsabgabe aufzuteilen und die auf die Zeit vor Eröffnung des Verfahrens entfallende Forderung als Insolvenzforderung und die auf die Tage nach Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeit anzusehen, sagt als solche noch nichts darüber aus, in welcher Art und Weise die Höhe der Ausgleichsabgabe zu berechnen ist. Die Vorschriften des
SGB IX enthalten hierzu eine ausdrückliche Regelung nicht. Lediglich in
§ 89 SGB IX sind Regelungen für die Zustimmung zur Kündigung von schwerbehinderten Menschen im Falle der Insolvenz in besonderer Art und Weise getroffen. Trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Regelung kann aber der Auffassung des Beklagten, die Bemessung und Ermittlung der Ausgleichsabgabe habe sowohl für die Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als auch für die Zeit danach auf der Grundlage einer einheitlich jahresdurchschnittlich ermittelten Beschäftigungsquote nach § 77
Abs. 1 Satz 3
SGB IX zu erfolgen, wegen der Besonderheiten des Insolvenzverfahrens, welche auch ohne ausdrückliche Regelung die Vorschriften des
SGB IX überlagern und modifizieren (
vgl. hierzu BFH, Urt. v. 16.11. 2004, Az. VII R 62/03, zur Kraftfahrzeugsteuer - zitiert nach Juris), nicht gefolgt werden.
Dies gilt insbesondere im vorliegenden Fall, in dem der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat. Dies hat der Insolvenzverwalter gegenüber dem Insolvenzgericht nach § 208
Abs. 1 InsO zu tun, wenn die Kosten des Insolvenzverfahrens gedeckt sind, die Insolvenzmasse jedoch nicht ausreicht, um die fälligen sonstigen Masseverbindlichkeiten zu erfüllen. Nach § 209
Abs. 1 InsO hat der Insolvenzverwalter danach die Masseverbindlichkeiten in einer bestimmten Rangfolge zu berichtigen, nämlich zunächst die Kosten des Insolvenzverfahrens und sodann die Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören - sog. Neumasseverbindlichkeiten. Dies sind solche Verbindlichkeiten, die durch ein Handeln des Insolvenzverwalters nach dem Eingang der Anzeige der Masseunzulänglichkeit beim Insolvenzgericht begründet worden sind. Zu den Masseverbindlichkeiten in diesem Sinne gehören
z. B. die Arbeitsansprüche derjenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Arbeitsleistung der Insolvenzverwalter für die Insolvenzmasse tatsächlich in Anspruch genommen hat.
Hat der Insolvenzverwalter aber nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit Arbeitnehmer freigestellt, wozu er berechtigt ist, sind die Vergütungsansprüche der freigestellten Arbeitnehmer nachrangige Masseforderungen gemäß § 209
Abs. 1
Nr. 3 InsO (
vgl. hierzu
LAG Hamm, B. v. 12.02.2001 -
4 Ta 277/00 -, zitiert nach Juris). Diese Regelung verdeutlicht die rechtliche Zäsur, die durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemacht wird, indem zwischen solchen Forderungen unterschieden wird, die Teile ihres Entstehungsgrundes in Tatbeständen haben, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens lagen, und solchen, die aufgrund von Handlungen des Insolvenzverwalters nach Eröffnung des Verfahrens begründet worden sind. Daraus folgt nach Auffassung des Gerichts, dass bei der Berechnung der Ausgleichsabgabe nach § 77
SGB IX zwischen den Beschäftigungsquoten für die Zeit vor Insolvenzeröffnung und nach Insolvenzeröffnung unterschieden werden muss. Dies gilt unabhängig von der Entscheidung der Frage, ob der Insolvenzverwalter als zentrale Figur des Insolvenzverfahrens für die Zeit nach Eröffnung des Verfahrens unter Umständen als Arbeitgeber im Sinne des § 77
Abs. 1
bzw. § 71
Abs. 1
SGB IX anzusehen ist, da er nach herrschender Meinung nicht lediglich ein gesetzlicher Vertreter des Schuldners in Bezug auf die Masse ist, sondern nach der herrschenden Amtstheorie Inhaber eines privaten Amtes ist, der im eigenen Namen ein ihm von Gesetz übertragenes Amt ausübt (
vgl. hierzu Braun, Kommentar zur InsO, § 80 Rz. 18
ff.). Denn wenn auch mit der Insolvenzeröffnung nicht ein neuer Arbeitgeber der in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer in die Arbeitsverhältnisse eingetreten ist, so zeigt doch auch der Umstand, dass das Arbeitsamt für den in Insolvenz befindlichen Betrieb eine neue Betriebsnummer vergeben hat, dass die Insolvenzeröffnung eine wesentliche Änderung der Unternehmensform darstellt.
Die Regelung des
SGB IX, wonach die Ausgleichsabgaben nach einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigtenquote zu berechnen ist, dient der Vereinfachung des Berechnungsverfahrens und muss im Insolvenzfall, in dem ohnehin zwischen der Abgabe für die Zeit vor und nach Insolvenzeröffnung zu entscheiden ist, aus den genannten, das
SGB IX überlagernden Grundsätze des Insolvenzrechts zurücktreten. Zwar führt die Insolvenzeröffnung nicht zu einem Wegfall der Verpflichtung zur Zahlung einer Ausgleichsabgabe (
vgl. zu den entsprechenden Vorschriften der Konkursordnung und des Schwerbeschädigtengesetzes VGH Baden- Württemberg, Urt. v. 16.06.1989 - 14 S 890/88 -), sie ist aber der Höhe nach auf die Summe zu beschränken, die sich unter Zugrundelegung der auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch weiter Beschäftigten - der Zahl nach geringeren Arbeitnehmer - errechnet. Auch damit erfüllt die Ausgleichsabgabe noch ihre Antriebs- und Ausgleichsfunktion, die sich in dieser Zeit allerdings darauf beschränkt, dass die Belastungen im Verhältnis zu anderen in vergleichbarer Situation befindlichen Betrieben ausgeglichen werden sollen, da der Betrieb selbst am Wettbewerb nicht mehr teilnimmt. Nur wenn die Ausgleichsabgabe für die Zeit nach Insolvenzeröffnung gesondert berechnet wird, kann sie als sog. Neumasseschuld vorrangig vom Insolvenzverwalter befriedigt werden (§ 209
Abs. 1
Nr. 2 InsO). Es kann auch nur dann das Ziel der Insolvenzordnung erreicht werden, in jedem Fall die Massearmut zu bekämpfen, um die Durchführung eines Insolvenzverfahrens zu sichern, so dass es nicht zu einer Nichteröffnung des Verfahrens mangels Masse kommt, wenn bei der Berechnung der Ausgleichsabgabe dem Umstand Rechnung getragen wird, dass mit Insolvenzeröffnung sehr häufig die Zahl der Beschäftigten eines Betriebes sich stark verringert hat. Aus diese Grunde ist der Klage des Insolvenzverwalters mit der Kostenfolge aus §§ 154
Abs. 1, 188
S. 2
VwGO stattzugeben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167
VwGO i. V. m. §§ 708, 711
ZPO.