Urteil
Zusatzermäßigung der wöchentlichen Pflichtstunden einer Lehrerin

Gericht:

VG Aachen 1. Kammer


Aktenzeichen:

1 k 612/09


Urteil vom:

24.09.2009


Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des Vollstreckungsbetrages leistet.

Tatbestand:


Die 55-jährige Klägerin ist beamtete Lehrerin (Besoldungsgruppe A 12 BBesO) an der Städtischen Gemeinschaftshauptschule I. II. Sie begehrt eine Zusatzermäßigung ihrer wöchentlichen Pflichtstunden.

Die Klägerin leidet seit langem, mindestens seit ihrer Einstellung als Lehrerin, an einer deutlichen rechtskonvexen Skoliose der Brustwirbelsäule. Wegen dieser Erkrankung hat sie sich zweimal operieren lassen müssen. Seit dem 18. Juli 1991 ist sie als Schwerbehinderte (50 v.H.) anerkannt; seit dem 7. Dezember 1998 beträgt der Grad der Behinderung 60 v. H. .

Aufgrund ihrer Schwerbehinderung ist ihre wöchentliche Pflichtstundenzahl um zwei Stunden ermäßigt. Daneben beantragte sie erstmals im August 1994 eine weitere Ermäßigung um vier Wochenstunden. Das Schulamt für den Kreis I1. gab dem Antrag für die Zeit bis 31. Juli 1995 statt und stützte sich auf § 2 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (VO) zur Ausführung des § 93 Abs. 2 Schulgesetz (SchulG). In der Folge wurde die zusätzliche Ermäßigung jährlich verlängert. Nachdem zunächst im März 1998 die erste und im August 1999 eine zweite Operation aufgrund der Skoliose durchgeführt wurde, reduzierte das Schulamt für den Kreis I1. die Pflichtstundenzahl der Klägerin mit Bescheid vom 24. Juli 2000 erneut um zusätzlich vier Wochenstunden. Anschließend wurde die Reduzierung mit zwei weiteren Bescheiden bis zum 31. Januar 2009 verlängert.

Ende des Jahres 2007/Anfang 2008 erkrankte die Klägerin und war erst ab dem 1. November 2008 wieder dienstfähig. Ein amtsärztliches Gutachten vom 20. Oktober 2008 zur Überprüfung ihrer Dienstfähigkeit durch das Kreisgesundheitsamt I1. ergab, dass die Dauer der Dienstunfähigkeit durch zwei notwendige Operationen am rechten Daumensattelgelenk begründet war. Daneben heißt es in dem Gutachten, dass "weitere bekannte Störungen der Wirbelsäulenbeweglichkeit bestehen, die sich aber jetzt nicht auf die Leistungsfähigkeit als Lehrerin auswirken".

Unter dem 24. November 2008 beantragte die Klägerin erneut eine zusätzliche Pflichtstundenermäßigung um wöchentlich vier Stunden. Sie sei wegen ihrer Skoliose auf diese Ermäßigung angewiesen, da sie besonders in Phasen des lang andauernden Sitzens oder Stehens erhebliche Schmerzen im Wirbelsäulenbereich verspüre. Nur aufgrund der Ermäßigung der Pflichtstunden sei es ihr über die Jahre hinweg möglich gewesen, den Schulalltag zu meistern und längere Fehlzeiten durch Krankschreibungen zu vermeiden. Der behandelnde Facharzt für Orthopädie und Chirotherapie S. Q. L. , Hückelhoven, attestierte der Klägerin, dass sie dringend auf die zusätzliche Ermäßigung angewiesen sei, um sich nach statischer Wirbelsäulenbelastung zu erholen. Auch die Vertrauensperson für schwerbehinderte Lehrkräfte an Grund- und Hauptschulen unterstützte das Begehren der Klägerin.

Mit Bescheid vom 13. Februar 2009 lehnte die Bezirksregierung Köln den Antrag mit der Begründung ab, die zusätzliche Stundenermäßigung könne gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 VO zu § 93 Abs. 2 SchulG nur befristet erfolgen. Die Ermäßigung solle dazu beitragen, dass der Betreffende die Regelstundenzahl nach Ablauf der Befristung wieder bewältige. Davon sei im Fall der Klägerin jedoch nicht auszugehen. Ihre gesundheitlichen Probleme dauerten jetzt schon so lange an, dass der Zweck der Ermäßigung offensichtlich nicht zu erreichen sei. Der Bescheid wurde am 9. März 2009 abgesandt.

Die Klägerin hat am 3. April 2009 Klage erhoben. Nach ihrer Ansicht bedeutet die Befristung in § 2 Abs. 3 Satz 2 der VO nur, dass die Ermäßigung jeweils für begrenzte Zeiträume zu gewähren sei, aber ohne weiteres aufeinanderfolgend bewilligt werden könne. Sinn und Zweck der Ermäßigung sei die gleichberechtigte Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben im öffentlichen Dienst. Damit stimme auch II Nr. 3.4.2 der Richtlinie zur Durchführung der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) im öffentlichen Dienst im Lande Nordrhein-Westfalen überein. Dort heiße es, dass die zusätzliche Ermäßigung längstens für die Geltungsdauer des Schwerbehindertenausweises zu bewilligen sei. Hieraus folge, dass die Ablehnung der Bezirksregierung unter dem Aspekt einer Befristung nicht zutreffend sei.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Bezirksregierung Köln vom 13. Februar 2009 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Antrag der Klägerin vom 24. November 2008 betreffend die zusätzliche Ermäßigung ihrer Pflichtstundenzahl um vier Wochenstunden neu zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Seiner Ansicht nach folgt aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 Satz 2 der VO, dass die zusätzliche Ermäßigung nicht als dauerhafte Einrichtung über Jahre hinaus gewährt werden könne. Insoweit habe er bei der Ablehnung das ihm zustehende Ermessen rechtmäßig ausgeübt, weil bei der Klägerin von einer dauerhaften Teildienstunfähigkeit auszugehen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der ablehnende Bescheid der Bezirksregierung Köln vom 13. Februar 2009 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrags auf Ermäßigung der wöchentlichen Pflichtstunden, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin auf Pflichtstundenermäßigung ist § 93 Abs. 2 Nr. 2 SchulG i. V. m. § 2 Abs. 3 Satz 2 VO zu § 93 SchulG. Darin heißt es: "Über die Regelermäßigung nach Satz 1 hinaus kann auf Antrag die oder der zuständige Dienstvorgesetzte in besonderen Fällen die Zahl der wöchentlichen Pflichtstunden befristet ermäßigen, soweit die Art der Behinderung dies im Hinblick auf die Unterrichtserteilung erfordert, höchstens aber um vier weitere Stunden."

Voraussetzung für eine positive Entscheidung ist demnach, dass ein besonderer Fall vorliegt, bei dem die Art der Behinderung eine - zusätzliche - Ermäßigung im Hinblick auf die Unterrichtserteilung erfordert. Des Weiteren ist in den Blick zu nehmen, dass die Entscheidung an die Regelermäßigung für Schwerbehinderte anknüpft, die gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 der VO für sich schon zwei Stunden pro Woche beträgt. Das Begehren der Klägerin setzt darauf auf und kann im Wege der Ausnahmeentscheidung zu einer Gesamtermäßigung von sechs Wochenstunden führen. Insgesamt wäre dies eine Ermäßigung der 28 Pflichtstunden um mehr als ein Fünftel (21,42 %). Eine Ermäßigung in diesem Umfang macht deutlich, dass sie nur dann greift, wenn die Art der Behinderung auf die Unterrichtserteilung derart durchschlägt, dass eine Ermäßigung erforderlich ist, um die - durch die Behinderung ausgelösten negativen - Folgen für den Unterricht auszuschließen.

Für diesen Fall steht es im Ermessen des zuständigen Dienstvorgesetzten, befristet ein bis höchstens vier Stunden Ermäßigung pro Woche zu bewilligen.

An diesen Voraussetzungen fehlt es. Nach der gutachterlichen Stellungnahme des Amtsarztes vom 20. Oktober 2008 ist eine - zusätzliche - Ermäßigung nicht erforderlich, da "die bekannten Störungen der Wirbelsäulenbeweglichkeit sich jetzt nicht auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin als Lehrerin auswirken". Außerdem hat er in seinem Gutachten ausgeführt, "dass mit der Wiederherstellung der uneingeschränkten Dienstfähigkeit der Klägerin innerhalb der nächsten sechs Monate zu rechnen ist".

Soweit die Klägerin diese Angaben des Amtsarztes nur auf ihre körperliche Verfassung im Oktober 2008 bezieht und in Übereinstimmung mit dem sie behandelnden Arzt eine zusätzliche Pflichtstundenermäßigung weiterhin für erforderlich hält, bedarf es hierzu keiner vertiefenden Erörterung. Folgt man nämlich der Ansicht der Klägerin, fehlt es jedenfalls daran, dass eine befristete zusätzliche Pflichtstundenermäßigung sie dazu befähigen würde, zu der vollen Pflichtstundenzahl zurückzukehren. Wie ausgeführt stützt § 2 Abs. 3 Satz 2 VO ihr Begehren nur für den Fall, dass eine Wiederherstellung der vollen Dienstfähigkeit mit Hilfe der "befristeten" zusätzlichen Ermäßigung in Aussicht steht. Von Letzterem kann keine Rede sein. Mit Unterbrechungen wegen der operationsbedingten Fehlzeiten erhält die Klägerin schon seit dem Jahre 1994 eine zusätzliche Ermäßigung von vier Stunden, ohne dass sich im entferntesten eine Besserung ihrer körperlichen Belastbarkeit abzeichnen würde; vielmehr bescheinigt ihr Arzt, dass sie auf die Ermäßigung angewiesen ist, weil "anderenfalls der einigermaßen stabile Gesundheitszustand der Klägerin gefährdet sei". Damit ist die zusätzliche Ermäßigung schon jetzt ein Dauerzustand, der von dem Normzweck nicht gedeckt ist. Es fehlt an einem Rechtsgrund für die zusätzliche Pflichtstundenermäßigung, bei der immer zu berücksichtigen ist, dass sie nicht zu einer Reduzierung der Besoldung der Klägerin führt. § 2 Abs. 3 Satz 2 der VO verschafft den Lehrerinnen und Lehrern hinsichtlich ihrer Dienstleistungsverpflichtung jedoch keine Sonderstellung gegenüber den übrigen Beamtinnen und Beamten. Wäre Letzteres die Intention des Normgebers gewesen, hätte er eine solche Regelung ohne Weiteres in die Verordnung aufnehmen können. Vielmehr zeigt die Befristung der Pflichtstundenermäßigung, dass der Normgeber sich bewusst war, dass er an der Schnittstelle zu der "begrenzten Dienstfähigkeit" einen Sachverhalt regelt, der beamtenrechtlich über § 27 BeamtStG i. V. m. § 1 LBG NRW gelöst werden könnte. Wenn die Klägerin erkennt, dass sie gesundheitlich nicht mehr zu einem vollen Einsatz als Lehrerin fähig ist, kann die Konsequenz nur sein, dass ihre Pflichtstundenzahl und ihre Besoldung reduziert wird. Eine solche Sichtweise bedeutet auch keinen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot gegenüber schwerbehinderten Menschen. Deren Teilnahme, hier also die Unterrichtserteilung durch die Klägerin, wird ja grundsätzlich ermöglicht, aber eben nur im Rahmen der eingeschränkten Dienstfähigkeit.

Scheidet ein Anspruch der Klägerin auf zusätzliche Pflichtstundenermäßigung wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 Satz 2 VO aus, so gilt dies gleichermaßen für den von ihr herangezogenen Rechtsgrund einer langandauernden Übung. Zwar hat das vormalig zuständige Schulamt für den Kreis I1. die Pflichtstundenermäßigung von Oktober 1994 (mit einer Unterbrechung in den Jahren 1998 und 1999) bis zum Jahr 2009 gewährt. Hierauf kann die Klägerin ihr Begehren indes nicht stützen, weil in jedem Bescheid jeweils ein Hinweis auf die erneut notwendige Überprüfung nach Ablauf der Befristung der Bewilligung enthalten war. Wenn die nunmehr zuständige Bezirksregierung Köln die Voraussetzungen einer zusätzlichen Pflichtstundenermäßigung nach § 2 Abs. 3 Satz 2 VO differenzierter überprüft, ist hiergegen nichts zu erinnern.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf §§ 167 VwGO i. V. m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Referenznummer:

R/R4495


Informationsstand: 16.03.2010