Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 30.01.2004 - 1 Ca 2256/03 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristgemäßen Kündigung.
Der am 27.12.1951 geborene, schwerbehinderte Kläger ist seit dem 01.04.1976 bei der Beklagten zu einem monatlichen Bruttoentgelt von zuletzt 2.516,50 EUR beschäftigt. Er ist zur Zeit als Montagearbeiter im Werk 1 der Beklagten eingesetzt. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 5 Arbeitnehmer. Bei ihr ist ein Betriebsrat gewählt.
Der Kläger war in der Vergangenheit in folgendem Umfang arbeitsunfähig krank:
1993 = 6 Arbeitstage
1994 = 70 Arbeitstage
1995 = 6 Arbeitstage
1996 = 126 Arbeitstage
1997 = 22 Arbeitstage
1998 = 130 Arbeitstage
2000 = 185 Arbeitstage
2001 = 121 Arbeitstage
2002 = 250 Arbeitstage
2003 = 118 Arbeitstage
Wegen der Fehlzeiten im einzelnen wird auf die Aufstellung Bl. 53 f. d.A. Bezug genommen.
An Lohnfortzahlung hat die Beklagte folgende Beträge für den Kläger aufgewendet:
1998
24.03. - 04.05. = 30 Arbeitstage = 6.383,86 DM
10.08. - 20.09. = 30 Arbeitstage = 6.527,56 DM
14.10. - 20.11. = 30 Arbeitstage = 6.102,12 DM
2000
13.03. - 04.05. = 28 Arbeitstage = 6.234,48 DM
07.08. - 19.09. = 30 Arbeitstage = 6.679,50 DM
2001
01.01. - 03.07. = 7 Arbeitstage = 1.591,69 DM
08.08. - 19.09. = 30 Arbeitstage = 6.829,76 DM
2003
10.07. - 11.07. = 2 Arbeitstage = 233,68 EUR
Mit Schreiben vom 27.05.2002 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer fristgemäßen, krankheitsbedingten Kündigung des Klägers an. Wegen den Einzelheiten der Betriebsratsanhörung wird auf Bl. 57 f. d.A. Bezug genommen. Mit Schreiben vom 03.06. 2002 widersprach der Betriebsrat der Kündigung.
Auf Antrag der Beklagten vom 04.06.2002 erteilte das Integrationsamt beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe mit Bescheid vom 21.08.2003 die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein.
Mit Schreiben vom 26.08.2003 erklärte die Beklagte dem Kläger die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.2004. Hiergegen richtet sich die am 29.08.2003 beim Arbeitsgericht Bochum eingegangene Feststellungsklage.
Mit Datum vom 15.12.2003 schloss die Beklagte mit dem Kläger einen "Arbeitsvertrag für eine verblockte Altersteilzeit zur Erlangung einer Erstattung durch die Bundesanstalt für Arbeit". Wegen der Einzelheiten dieses Arbeitsvertrages wird auf Bl. 92 - 99 d.A. verwiesen.
Der Kläger hat vorgetragen, die streitbefangene Kündigung sei bereits wegen des am 15.12.2003 abgeschlossenen Arbeitsvertrages für eine verblockte Altersteilzeit gegenstandslos geworden. Die Parteien hätten hierdurch ihre vertraglichen Beziehungen neu geordnet und auf eine neue Basis gestellt. Die streitbefangene Kündigung sei in diesem Vertrag nicht erwähnt; der Altersteilzeitvertrag sei auch nicht unter Vorbehalt oder der Bedingung geschlossen worden, dass das Arbeitsverhältnis durch die streitbefangene Kündigung nicht aufgelöst wird.
Jedenfalls aber sei die Kündigung vom 26.08.2003 sozial ungerechtfertigt. Schon eine Negativprognose hinsichtlich weiterer erheblicher krankheitsbedingter Fehlzeiten sei nicht gegeben. Im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthalts in der Zeit vom 11.12.2002 bis zum 08.01.2003 sei erstmals festgestellt worden, dass er, der Kläger, an einem Diabetes mellitus leide, der mangels vorheriger Diagnose und Behandlung entgleist gewesen sei. Er sei daraufhin auf Insulin eingestellt und entsprechend geschult worden. Im übrigen bestehe bei ihm seit mehr als 20 Jahren eine Hepatitis B. Nach einem Kuraufenthalt in der Zeit vom 12.03. bis zum 02.04.2003 sei dann in Abstimmung mit dem Werksärztlichen Dienst der Beklagten in der Zeit vom 26.05. bis zum 22.06.2003 eine stufenweise Wiedereingliederung vorgenommen worden. Ab dem 23.06.2003 habe er vollschichtig arbeiten können. Lediglich vom 10.07. bis 11.07.2003 sei er noch einmal arbeitsunfähig gewesen, da sich Probleme bei der Einstellung des Diabetes mellitus und des Blutdrucks ergeben hätten. Damit sei im Zeitpunkt der Kündigung bereits eine erfolgreiche Therapie des erstmals 2002 diagnostizierten Diabetes mellitus durchgeführt worden. Er, der Kläger, sei in der Vergangenheit nur wegen dieser unentdeckten Erkrankung, nicht aber wegen der chronischen Lebererkrankung, arbeitsunfähig gewesen.
Darüber hinaus habe die Beklagte in den letzten drei Jahren an weniger als 30 Arbeitstagen Entgeltfortzahlung zu leisten gehabt. Betriebsablaufstörungen habe die Beklagte nicht substantiiert dargelegt.
Der Kläger beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 26.08.2003 zum 31.03. 2004 nicht aufgelöst wird.
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger als Montagearbeiter an der Cockpit Montage tatsächlich weiterzubeschäftigen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, die Kündigung sei als sozial gerechtfertigt anzusehen. Denn die Fehlzeiten des Klägers in der Vergangenheit begründeten eine negative Prognose, die durch das Gutachten von Frau Dr. H1 vom 03.07.2003 bestätigt werde.
Die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers hätten auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen geführt. Vorrangig sei hier auf die Belastung mit Entgeltfortzahlungskosten hinzuweisen. Aber auch Betriebsablaufstörungen seien gegeben. Trotz einer vorausschauenden Personlaplanung sei es zu betriebsorganisatorischen Störungen gekommen. Diese seien daraus entstanden, dass im Krankheitsfall entweder keine eingearbeiteten oder überhaupt keine Ersatzkräfte zur Verfügung gestanden hätten, weil das entsprechende Potential bereits anderweitig eingesetzt gewesen sei. Ein kurzfristiger Ausgleich durch Mehrarbeit sei regelmäßig wegen der erforderlichen Betriebsratszustimmung nicht möglich, könne überdies wegen der betrieblichen Organisationsstruktur als Schichtbetrieb nur begrenzt erfolgen und sei zudem kostenträchtig.
Auch durch Umsetzungen lasse sich eine derartige Lücke nicht in allen Fällen füllen, abgesehen davon, dass die betrieblichen Vorgesetzten in solchen Fällen mit organisatorischer Mehrarbeit belastet würden und von ihren eigenen Überwachungstätigkeiten betreffend die Produktion abgehalten würden. Auf die Umsetzung eines Arbeitnehmers auf einen anderen Arbeitsplatz erfolge darüber hinaus eine Anlernphase mit einhergehender größerer Fehlerhäufigkeit. Aufgrund der Tasache, dass sie, die Beklagte, Vorhaltepersonal beschäftige, könnten ihr noch weitere Überbrückungsmaßnahmen nicht zugemutet werden, da sie sich bereits für das Vorhaltepersonal erheblich betriebswirtschaftlich belastet habe.
Auch die Interessenabwägung müsse zu Lasten des Klägers ausgehen.
Durch Urteil vom 30.01.2004 hat das Arbeitsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Gegen dieses Urtiel, das der Beklagten am 08.03.2004 zugestellt worden ist, richtet sich die Berufung der Beklagten, die am 16.03.2004 beim Landesarbeitsgericht eingegangen und am 30.04.2004 begründet worden ist.
Die Beklagte macht weiterhin geltend, die Kündigung vom 26.08.2003 sei sozial gerechtfertigt. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei von einer negativen Gesundheitsprognose auszugehen, die durch die Fehlzeiten des Klägers in der Vergangenheit indiziert sei. Nicht ersichtlich sei, inwieweit die Fehlzeiten in der Vergangenheit auf die unterschiedlichen Erkrankungen des Klägers zurückzuführen seien. Der Kläger sei einer Darlegungspflicht hinsichtlich der Einwendungen gegen die Annahme einer Negativprognose nicht nachgekommen.
Zu den Betriebsablaufstörungen wegen der hohen Fehlzeiten des Klägers habe sie, die Beklagte, bereits erstinstanzlich ausführlich vorgetragen. Der Umstand, dass im Jahre 2002 keine Entgeltfortzahlung geleistet worden sei, beruhe darauf, dass der Kläger nicht einen einzigen Arbeitstag gearbeitet habe, sondern durchgehend erkrankt gewesen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 30.01.2004 - 1 Ca 2256/03 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt vor, die Beklagte habe bereits die erforderliche negative Zukunftsprognose nicht dargelegt. Vielmehr sei zum Kündigungszeitpunkt eine positive Zukunftsprognose zu stellen, die sich auch durch die tatsächliche Entwicklung bestätigt habe. Nachdem er, der Kläger, im Jahre 1999 an keinem Arbeitstag arbeitsunfähig krank gewesen sei, habe er in den Jahren 2000 bis 2002 tatsächlich erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten aufzuweisen gehabt. Da bei ihm, dem Kläger, seit mehr als 20 Jahren eine Hepatitis B bekannt gewesen sei, seien diese Ausfallzeiten von den behandelnden Ärzten teilweise dieser Lebererkrankung zugeordnet worden. Diese Diagnosen hätten sich als fehlerhaft erwiesen. Am 11.12.2002 sei er notfallmäßig in das Knappschaftskrankenhaus Bochum-Langendreer eingeliefert worden.
Dort sei erstmals die zutreffende Diagnose gestellt worden, dass er an einem bis zu diesem Zeitpunkt unentdeckt gebliebenen und daher auch nicht therapierten Diabetes mellitus Typ II leide, der wegen der fehlenden Behandlung völlig entgleist gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt sei erstmals die entsprechende Therapie eingeleitet worden; während des bis zum 08.01.2003 andauernden stationären Aufenthaltes sei er auf Insulin eingestellt und entsprechend geschult worden. Nach erfolgreich durchgeführter Kur vom 12.03. bis zum 02.04.2003 sei er stufenweise wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert worden. Ab dem 23.06.2003 habe er wieder vollschichtig arbeiten können und seither auch tatsächlich gearbeitet. Seitdem sei er nur zwei Tage krankheitsbedingt am 10. und 11.07.2003 arbeitsunfähig gewesen, weil die Einstellung des Diabetes mellitus nicht zufriedenstellend funktioniert habe. Dieser Umstand sei jedoch kurzfristig behoben worden. Bis heute habe er, der Kläger, keine weiteren Ausfallzeiten mehr aufzuweisen, sondern arbeite seit einem Jahr fehlzeitenfrei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitgegenstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.