Urteil
Rentenkürzung wegen Inanspruchnahme einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 63. Lebensjahres - Verfassungsmäßigkeit

Gericht:

LSG Celle-Bremen 1. Senat


Aktenzeichen:

L 1 RA 255/04


Urteil vom:

28.04.2005


Orientierungssatz:

1. § 77 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB 6 (Minderung des Zugangsfaktors bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für eine Inanspruchnahme vor Vollendung des 63. Lebensjahres) ist verfassungsgemäß.

2. Das Ziel der Vermeidung von Ausweichreaktionen von rentenberechtigten Versicherten von der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit auf die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist ein sachlich rechtfertigender Grund für die Gleichbehandlung der beiden Rentenarten bezüglich der Einführung von Rentenabschlägen in § 77 Abs 2 S 1 SGB 6. Denn ohne die Maßnahme des RRErwerbG, also ohne die Erstreckung der Rentenabschläge auch auf die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in § 77 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB 6, wären sowohl die Altersgrenzenanhebung des RRG 1992 als auch das Vorziehen und Beschleunigen dieser Anhebung WFG in ihrer Wirkung gefährdet gewesen.

3. Das Vorziehen und Beschleunigen der Altersgrenzenanhebung bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit im WFG ist bereits mehrfach für verfassungsmäßig erachtet worden (vgl BSG vom 5.8.2004 - B 13 RJ 10/03 R = SozR 4-2600 § 77 Nr 1, BSG vom 25.2.2004 - B 5 RJ 44/02 R = BSGE 92, 206 = SozR 4-2600 § 237 Nr 1, vgl LSG Celle-Bremen vom 27.6.2002 - L 1 RA 239/01).

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

JURIS-GmbH

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die abschlagsfreie Zahlung ihrer Rente wegen Erwerbsminderung (EM). Sie hält die Anhebung der Altersgrenzen mit einhergehendem Entgeltpunkteabschlag bei den EM-Renten für verfassungswidrig.

Die im August 1960 geborene Klägerin hatte von der Beklagten in der Zeit vom 1. Juli 1992 bis zum 30. Juni 1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) auf Zeit bezogen (u. a. nach Sprunggelenksfraktur; Verdacht auf Morbus Sudeck; posttraumatische Arthrose mit Wackelsteife). Auf den Antrag auf Weiterbewilligung hatte die Beklagte vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (L 1 RA 297/01; vorgehend: Sozialgericht Aurich, S 6 RA 24/00, Urteil vom 27.11.2001) einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung (VEM) auf Zeit für die Dauer vom 1. März 2003 bis zum 31. Oktober 2004 anerkannt.

Nach Annahme des vor dem LSG abgegebenen (Teil-)Anerkenntnisses durch die Klägerin erließ die Beklagte den (Ausführungs-) Bescheid vom 2. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2003. Hierin hatte sie den Zugangsfaktor der VEM-Rente dahingehend berechnet, dass sie die Vorschrift des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB VI) zur Anwendung brachte, wonach bei der erstmaligen Feststellung von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den die Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, eine Herabsetzung des Zugangsfaktors (ausgehend von 1,0) um 0,003 vorzunehmen ist (wobei eine maximale Kürzung nicht überschritten werden darf).

Mit ihrer hiergegen am 17. September 2003 vor dem Sozialgericht (SG) Aurich erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass die Vorschrift des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI verfassungswidrig sei und deshalb nicht habe von der Beklagten angewendet werden dürfen. Denn zwar habe der Gesetzgeber in § 77 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2, 3 und 4 SGB VI jede der dort genannten Rentenarten, also z. B. Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit, EM-Renten und Hinterbliebenenrenten, in gleicher Weise einem Abschlag bei vorzeitiger Inanspruchnahme unterworfen. Jedoch bestünden zwischen diesen Rentenarten Unterschiede von so starkem Gewicht, dass diese Gleichbehandlung verfassungswidrig sei.
Insbesondere bestünden erhebliche Unterschiede zwischen der Rente wegen EM einerseits und der AR wegen Arbeitslosigkeit andererseits, so dass die bei der AR wegen Arbeitslosigkeit gesetzlich vorgesehene Abschlagsberechnung nicht auch bei der EM-Rente hätte gesetzlich vorgesehen werden dürfen. Der maßgebliche Unterschied sei dabei, dass die Versicherten bei der AR wegen Arbeitslosigkeit den Zeitpunkt der Inanspruchnahme selbst bestimmen könnten, und zwar durch die zeitliche Stellung des Antrages, während Versicherte mit eingetretener EM eine solche zeitliche Gestaltungsmöglichkeit nicht hätten. Erschwerend komme hinzu, dass beim Eintritt von EM die gesetzlichen Sozialleistungsträger z. B. der Krankenversicherung und des Arbeitsförderungsrechts (Krankenkassen, Bundesanstalt für Arbeit/Bundesagentur für Arbeit) bei ihrer Zahlung von Krankengeld, Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe die Versicherten durch die Drohung mit der Einstellung ihrer
Leistungen zur Antragstellung auf medizinische Rehabilitation und/oder Teilhabe am Arbeitsleben auffordern könnten. Einem solchen Druck seien künftige Bezieher von AR wegen Arbeitslosigkeit nicht ausgesetzt, da bei Ihnen keine medizinische Indikation bestehe. Zu der Frage der Verfassungswidrigkeit des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI würden deshalb von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mehrere Rechtsstreite mit dem Ziel einer abschließenden Klärung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geführt.

Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 13. September 2004 abgewiesen und die gesetzliche Regelung des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI für verfassungsmäßig gehalten. Zur Begründung hat es im Einzelnen ausgeführt, dass dem Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des BVerfG bei der Ausgestaltung des Sozialversicherungsrechts ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe. Zudem beruhe die in diesem Rahmen vorgenommene Gleichbehandlung der Rentenarten in § 77 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2, 3 und 4 SGB VI auf einem sachlichen Grund. Denn der Gesetzgeber habe die in Rede stehenden Rentenarten deshalb gleichermaßen einer
Abschlagregelung bei vorzeitiger Inanspruchnahme unterwerfen dürfen, weil dies zur Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung notwendig gewesen sei. Ohne die damit erfolgte Anpassung an die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wäre ein immer stärkerer Beitragssatzanstieg zu befürchten gewesen. Die notwendige Anpassung an die geänderten wirtschaftlichen Verhältnisse führe gleichzeitig dazu, dass auch eine Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG nicht vorliege. Hier sei zudem zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG wegen des großen zeitlichen Zwischenraums zwischen Erwerb und Aktivierung eines Rentenanspruchs bloße Anwartschaften in stärkerem Maße einer Veränderungsmöglichkeit ausgesetzt seien als bereits entstandene Vollrechte.

Mit ihrer hiergegen am 1. Oktober 2004 erhobenen Berufung trägt die Klägerin zur Begründung der Verfassungswidrigkeit des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI ergänzend vor:

Im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG werde der bereits aufgezeigte Unterschied der fehlenden Steuerbarkeit des Zeitpunkts der Inanspruchnahme bei den EM-Renten gegenüber den Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit besonders deutlich im prozessualen Beweisführungsrecht sowie im materiellen Sozialhilferecht. Während prozessual bei der AR wegen Arbeitslosigkeit die vorausgesetzte Arbeitslosigkeit durch eine Bescheinigung der Arbeitsverwaltung und damit ohne weiteren Aufwand für den Versicherten zu bestätigen sei, müsse der Zeitpunkt des Eintritts der EM vom Versicherten aufwendig bewiesen werden, was in
Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahren oftmals nur durch die Einschaltung medizinischer Sachverständiger möglich sei. Im materiellen Recht zeige sich der von Sozialleistungsträgern ausübbare Zwang zur Inanspruchnahme einer vorzeitigen EM-Rente besonders deutlich am Beispiel des § 91 a des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Denn nach dieser Vorschrift könne der Sozialhilfeträger auch gegen den Willen des Versicherten für diesen eine EM-Rente in eigener Prozessführungsbefugnis beantragen und etwaige Rechtsmittel einlegen. Im Gegensatz dazu würden die Versicherten hinsichtlich der Inanspruchnahme von AR wegen Arbeitslosigkeit nicht nur von jedwedem Zwang freigestellt, sondern im Gegenteil in ihrer freien Entscheidung sogar gesetzgeberisch ausdrücklich geschützt. So bezweckten die § 105 c Arbeitsförderungsgesetz (AFG) bzw. § 428 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), dass ein Bezieher von Leistungen nach dem Arbeitsförderungsrecht nicht auf die Inanspruchnahme von Rentenleistungen verwiesen werden dürfe, wenn dies für ihn mit Rentenminderungen verbunden sei. Schließlich sei zu betonen, dass gerade diese Freiheit in der Wahl des Zeitpunkts der Inanspruchnahme der AR-Renten wegen Arbeitslosigkeit (und der AR-Renten für Frauen) das Bundessozialgericht (BSG) maßgeblich zu seiner Entscheidung veranlasst habe, die Einführung der Erhöhung der Altersgrenzen mit Rentenabschlägen sowie das spätere Vorziehen und Beschleunigen
dieser Anhebung für diese Rentenarten für verfassungsgemäß zu erachten. Wenn aber die Entscheidungsfreiheit über den Zeitpunkt der Inanspruchnahme einer Rente wesentlich die Verfassungsmäßigkeit der Altersgrenzenanhebung begründe, dann führe die fehlende Entscheidungsfreiheit bei den EM-Renten zur Verfassungswidrigkeit der Regelung.

Ein weiterer, für die Heraufsetzung der Altersgrenzen wesentlicher Unterschied zwischen den Altersrenten einerseits und den EM-Renten andererseits ergebe sich bereits unmittelbar aus der Begründung des Gesetzesentwurfes zur Einführung des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI. Denn nach der Gesetzesbegründung sei die Heraufsetzung der Altersgrenzen bei gleichzeitiger Abschlagsberechnung bei den EM-Renten - im Unterschied zu den Altersrenten - nicht das eigentliche Ziel des Gesetzgebers gewesen. Der Gesetzgeber habe die EM-Renten vielmehr nur deshalb in die Regelungen des § 77 Abs. 2 SGB VI einbezogen, weil er wegen der bereits erfolgten Heraufsetzung der Altersgrenzen für die Altersrenten eine verstärkte Inanspruchnahme der EM- Renten durch die Versicherten befürchtet habe (Vermeidung eines Ausweichens in die EM-Rente).

Wesentliche Unterschiede zwischen den genannten Rentenarten bestünden auch bei den Kompensationsmöglichkeiten für die erlittenen Rentenabschläge. Zwar sei die Einbeziehung der EM-Renten in die Altersgrenzenanhebung des § 77 Abs. 2 SGB VI durch gesetzliche Ausgleichsregelungen begleitet worden. Diese Kompensationsregelungen seien jedoch weit weniger ausgeprägt als bei der AR wegen Arbeitslosigkeit. Bestehe bei der AR wegen Arbeitslosigkeit gemäß der eigens hierfür eingeführten Vorschrift des § 187 a SGB VI die Möglichkeit der Minderung des Abschlags durch nachträgliche Beitragszahlung, sähen die
Regelungen zur EM-Rente allein eine Verlängerung der Zurechnungszeit vor, während der keine nachträgliche Beitragsentrichtung erfolgen dürfe, § 264 c i. V. m. §§ 53, 253 a SGB VI. Diese nur geringere Kompensationsmöglichkeit sei vom Gesetzgeber auch bewusst unvollkommen ausgestaltet worden, um das Ziel des Gesetzes (Vermeidung eines Ausweichens in die EM-Rente) nicht zu gefährden. Zu diesen schlechteren gesetzlichen Kompensationsmöglichkeiten kämen überdies noch deutliche Unterschiede in der faktisch möglichen Kompensation hinzu. Denn während zum Einen bei der AR wegen Arbeitslosigkeit im Regelfall Abfindungszahlungen seitens der Arbeitgeber an die Arbeitnehmer flössen, die vom Versicherten zur aufstockenden (privaten) Alterssicherung genutzt werden könnten, seien bei der EM-Rente wegen der im Regelfall gegebenen Arbeitsunfähigkeit solche Abfindungsleistungen nicht zu erwarten und deshalb Aufstockungen nicht finanzierbar. Außerdem könne der Berechtigte einer AR wegen Arbeitslosigkeit jederzeit wieder erwerbstätig werden, der Berechtigte einer EM-Rente mangels gesundheitlicher Leistungsfähigkeit nicht.

Gegen eine Gleichbehandlung der Rentenarten sprächen aber auch Gründe der rentenrechtlichen Systematik. Die Rentenart der AR wegen Arbeitslosigkeit diene nicht der Absicherung des Kernrisikos der gesetzlichen Rentenversicherung. Bei ihr sei deshalb eine (abschlagsbedingte) Minderung rechtlich leichter zulässig als bei den EM-Renten. Die EM-Renten hingegen sicherten mit dem Risiko der eingetretenen Erwerbsminderung das Kernrisiko der gesetzlichen Rentenversicherung ab, wie dies auch für Altersrenten wegen Erreichen des 65. Lebensjahres (altersbedingte Erwerbsunfähigkeit) gelte. Diese Absicherung von
rentensystematisch unterschiedlichen Risiken gebiete dann aber auch eine unterschiedliche Behandlung bei der Anhebung der Altersgrenzen bzw. bei der Abschlagsberechnung.

Nach alledem verstoße die Einbeziehung der EM-Renten in die Rentenabschlagsregelungen des § 70 Abs. 2 SGB VI gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Neben dieser Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes liege aber auch ein Verstoß gegen den besonderen Tatbestand des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vor. Denn durch die Erstreckung der Abschlagsregelungen auf erwerbsgeminderte Personen würden in besonderem Maße Schwerbehinderte von einer für sie unvermeidlichen Abschlagszahlung betroffen. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG schütze jedoch ausdrücklich und gerade vor Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen.

Schließlich verstoße die Einbeziehung der EM-Renten in die mit Abschlägen verbundene Anhebung der Altersgrenzen aus den vorgenannten Gründen auch gegen Art. 14 Abs. 1 GG.


Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aurich vom 13. September 2004 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2003 abzuändern,

2. die Beklagte zu verurteilen, die der Klägerin bewilligte Rente wegen voller Erwerbsminderung ohne Anwendung des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch zu zahlen,

hilfsweise,

3. den Rechtsstreit gemäß Art. 100 Grundgesetz auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch mit dem Grundgesetz vereinbar ist,

weiter hilfsweise,

4. die Revision zuzulassen.


Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

1. die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

2. die Revision zuzulassen.

Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide als zutreffend und bezieht sich zur Begründung ergänzend auf den Gerichtsbescheid des SG. Sie hält die Vorschrift des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI für verfassungsmäßig und eine entsprechende höchstrichterliche Klarstellung durch das BSG für geboten.

Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren darauf hingewiesen, dass der inzwischen von der Beklagten erlassene Bescheid auf Weiterbewilligung der EM-Rente über den bisherigen Wegfallmonat hinaus nicht gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden sei. Die Klägerin hat dieser Rechtsauffassung zugestimmt und erklärt, den Bescheid außerhalb des Berufungsverfahrens mittels Widerspruchs anfechten zu wollen.

Schließlich hat der Senat im vorbereitenden Verfahren die Beteiligten zur Stellungnahme zu der Frage aufgefordert, ob der vom SG im Tatbestand seines Urteils zugrunde gelegte Sachverhalt als unstreitig gelten darf und damit allein die Rechtsfrage der Verfassungsmäßigkeit/-widrigkeit des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI streitig ist. Die Beteiligten haben dies übereinstimmend zustimmend beantwortet und sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand von Beratung und Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten zuvor hiermit einverstanden erklärt haben.

Die gemäß §§ 143 f. SGG statthafte und zulässige Berufung ist unbegründet.

Weder der Gerichtsbescheid des SG noch die Bescheide der Beklagten sind zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der ihr bewilligten Rente wegen EM ohne die wegen vorzeitiger Renteninanspruchnahme von der Beklagten errechneten Abschläge.

Das SG hat die maßgeblichen Rechtsgrundlagen herangezogen, zutreffend angewendet und ist nach alledem zu dem richtigen Ergebnis gekommen, dass die EM-Rente der Klägerin, die dieser (weit) vor Vollendung ihres 65. bzw. 63. Lebensjahres ( nämlich im 43. Lebensjahr) bewilligt wurde, um diejenigen Abschläge zu mindern war (und ist), die sich aufgrund des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI ergeben. Eine fehlerhafte Anwendung der Gesetzesvorschriften durch die Beklagte, etwa in Form einer rechnerischen Unrichtigkeit, hat die Klägerin dabei zutreffend von vornherein nicht geltend gemacht, dies in der Berufungsinstanz auf Nachfrage des Senats nochmals bestätigt, und sie ist auch nach der Aktenlage nicht ersichtlich. Soweit aber die Klägerin eine Verfassungswidrigkeit des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI geltend gemacht hat, hat das SG zutreffend ausgeführt, dass eine Verfassungswidrigkeit nicht festzustellen ist. Der Senat schließt sich dieser Beurteilung der Rechtslage an und nimmt gemäß § 153 Abs. 2 SGG zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheids des SG Bezug.

Ergänzend ist Folgendes auszuführen:

Die Abschläge bei den EM-Renten, die es bis dahin nicht gab, wurden mit dem EM-ReformG (Gesetz zur Reform der Renten wegen Erwerbsminderung vom 20.12.2000, BGBL. I, S. 1827) mit Wirkung zum 1.1.2001 eingeführt. Die Neuregelung sah und sieht eine Minderung des Zugangsfaktors - ausgehend von 1,0 - um jeweils 0,003 (= 0,3%) für jeden Kalendermonat vor, den die EM-Rente vor Vollendung des 63. Lebensjahres (vorzeitig) in Anspruch genommen wird (§ 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI) (vgl. nur: Die Erwerbsminderungsrente - Grundsätze der gesetzlichen Rentenversicherung, Deutsche Rentenversicherung 2002, S. 18, 96;
Beispielsfälle bei: Schmitz, Rentenabschläge bei der Altersrente im Anschluss an eine geminderte Erwerbsminderungsrente? - Die Anwendung von § 77 Abs. 3 Sätze 1-3 SGB VI, in: LVA Rheinprovinz, Mitteilungen 3-4/2003, S. 140-142).

Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin ist § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI aber nicht verfassungswidrig, und zwar weder unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz noch wegen einer Verletzung des Eigentumsgrundrechts.

Der von der Klägerin in den Vordergrund gestellten Auffassung eines Verstoßes des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vermag der Senat nicht zu folgen. Denn eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht feststellbar.

Das Grundrecht des Art. 3 Abs. 1 GG ist in seiner regelhaften Konstellation dann betroffen, wenn - durch Gesetzgeber oder Verwaltung - (wesentlich) Gleiches ungleich behandelt wird. Eine solche Ungleichbehandlung stellt den typischen Fall eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG dar. Eine solche Ungleichbehandlung von (wesentlich) Gleichem ist jedoch nicht generell unzulässig. Vielmehr können Gesetzgeber oder Verwaltung die ungleiche Behandlung vornehmen, wenn dies aus sachlichen Gründen erfolgt, deren Bedeutung und Tragweite zur Intensität und zu den Auswirkungen der ungleichen
Behandlung nicht außer Verhältnis stehen. Als Differenzierungsgrund kommt dabei jede vernünftige Erwägung (namentlich Gemeinwohlerwägung) in Betracht. Dazu gehören etwa die Praktikabilität der Regelung, finanzielle Gesichtspunkte oder die Rechtssicherheit. Dabei kann der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums diejenigen Sachverhalte auswählen, an die er die unterschiedlichen rechtlichen Regelungen knüpft (Anknüpfungstatsachen), soweit diese Auswahl sachlich vertretbar ist. Über diese Maßstäbe hinaus ist gerade im Sozialversicherungsrecht, in dem dem Gesetzgeber wegen der Komplexität der
Materie zudem eine weitgehende Typisierung von Sachverhalten gestattet ist, der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum besonders groß und ein Gleichheitssatzverstoß nur unter engen Voraussetzungen anzunehmen (vgl. die Nachweise zur Rechtsprechung, namentlich des BVerfG, bei: Jarass in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 5. Aufl. 2000, Art. 3 Rn. 7, 15, 16 30).

Ist daher im Falle einer von einem (Sozial-)Versicherten geltend gemachten gesetzgeberischen Ungleichbehandlung ein Gleichheitssatzverstoß nur unter engen Maßstäben anzunehmen, so gilt dies erst recht und in noch deutlich stärkerem Maße dann, wenn der Versicherte keine Ungleichbehandlung, sondern - wie vorliegend die Klägerin - (lediglich) eine Gleichbehandlung (von wesentlich Ungleichem) geltend macht.

Zwar ist anerkannt, dass ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG auch darin liegen kann, dass Gesetzgeber oder Verwaltung ( wesentlich) Ungleiches gleich behandeln (zu den dogmatischen Einordnungsschwierigkeiten dieser Konstellation siehe nur: Jarass, a. a. O., Rn. 7). Der Gestaltungsspielraum, namentlich des Gesetzgebers, ist hier jedoch noch weitgehender als in den Fällen der Ungleichbehandlung. Denn der Gesetzgeber darf regelmäßig Gleichbehandlungen vornehmen, auch bei im Wesentlichen ungleichen Sachverhalten, um sachliche Ziele erreichen und seinen Gestaltungsspielraum (überhaupt) ausschöpfen zu können. Dies findet seinen Niederschlag namentlich in den - gerade auch im Sozialrecht zulässigen - Typisierungen bzw. Pauschalierungen. Er kann durch diese Gleichbehandlungen sogar einen Systemwechsel zu bisherigen gesetzlichen Regelungen herbeiführen, ohne dass daraus eine verfassungswidrige Gleichbehandlung folgen muss. Vielmehr darf er bereits dann von einem selbst gesetzten Regelungssystem abweichen (und erst recht weniger einschneidende Maßnahmen vornehmen), wenn hierfür ein zureichender Grund vorliegt. Die Gleichbehandlung von (wesentlich) Ungleichem wird deshalb regelmäßig nur dann eine
Verfassungswidrigkeit hervorrufen können, wenn ein vernünftiger Grund für diese Gleichbehandlung fehlt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.7.1998, 1 BvR 1554/89, 963, 964/94 = E 98, 365, 385; BVerfG, Beschluss vom 16.10.1979, 1 BvR 124/71 = E 52, 256, 263; weitere Nachweise zur Rechtsprechung, namentlich des BVerfG, erneut bei Jarass, a. a. O., Rn. 7, 28, 29).

Nach diesen gegenüber den Fällen einer Ungleichbehandlung weniger strengen Prüfungsmaßstäben der Fälle einer Gleichbehandlung (von wesentlich Ungleichem) ist in der Regelung des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht feststellbar und die von der Klägerin beantragte Aussetzung des Rechtsstreits gemäß Art. 100 GG durch den erkennenden Senat nicht vorzunehmen.

Zwar ist die von der Klägerin dargestellte ungleiche Sachlage zwischen der EM-Rente einerseits (§ 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI) und insbesondere der AR wegen Arbeitslosigkeit andererseits (§ 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2. a. SGB VI) nachvollziehbar beschrieben. Auf die Berufungsbegründungsschrift der Klägerin wird insoweit Bezug genommen.

Jedoch ist einschränkend zur Berufungsbegründung darauf aufmerksam zu machen, dass der Eindruck unzutreffend ist, wonach die Berechtigten einer AR wegen Arbeitslosigkeit völlig frei in der Wahl des Zeitpunkts der Inanspruchnahme der Rente wären, während die Berechtigten einer EM-Rente diese gezwungenermaßen zu einem bestimmten Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen hätten. Zur Begründung ist zum Einen darauf hinzuweisen, dass - ebenso wie die Erwerbsminderung - auch die Arbeitslosigkeit als solche (als grundlegende Voraussetzung einer AR wegen Arbeitslosigkeit) oftmals gerade unabhängig vom und sogar gegen den
Willen des Versicherten eintritt, etwa deshalb, weil eine arbeitgeberseitige Kündigung erfolgt, obwohl der Versicherte weiterhin berufstätig sein will. Zum Zweiten darf nicht verkannt werden, dass nicht jede Art der Erwerbsminderung zur Aufgabe jedweder weiterer Erwerbstätigkeit zwingt. Dies gilt etwa für die Bereiche der TEM-Renten sowie der TEM-Renten bei BU, §§ 43 Abs. 1, 240 SGB VI. Hier kann - gerade auch nach der Intention des Gesetzgebers - bis zur Regelaltersgrenze weiterhin eine Erwerbstätigkeit ausgeübt und Verdienst erzielt werden, der zur weiteren Alterssicherung eingesetzt werden kann. Zum Dritten ist ergänzend anzumerken, dass die Rechtsprechung des BSG das Vorziehen und Beschleunigen der Altersgrenzenanhebung mit einhergehenden Rentenabschlägen bei der AR wegen Arbeitslosigkeit (durch das WFG 1997) nicht allein oder auch nur maßgeblich deshalb für verfassungsmäßig erachtet hat, weil der Berechtigte der AR wegen Arbeitslosigkeit den Zeitpunkt der Renteninanspruchnahme frei wählen könne. Das Studium der einschlägigen Entscheidungen zeigt, dass das BSG die Verfassungsmäßigkeit maßgeblich mit der dringend notwendigen Korrektur bei der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung (Frühverrentungspraxis) begründet und nur ergänzend darauf hingewiesen hat, dass der Versicherte durch eine gewisse Steuerungsmöglichkeit des Zeitpunkts der Inanspruchnahme die mit der Korrektur einhergehenden Rentenabschläge minimieren könne. Auf die Entscheidungen des BSG und ihren Wortlaut weist der erkennende Senat ausdrücklich hin (BSG, Urteile vom 5.8.2004, B 13 RJ 10/03 R, vom 25.2.2004, B 5 RJ 44/02 R; wie 5. und 13. Senat: der erkennende Senat im Urteil vom 27.6.2002, L 1 RA 239/01).

Unabhängig von diesen Einschränkungen zur Darstellung der Berufungsbegründung durfte (und darf) der Gesetzgeber jedoch die genannten unterschiedlichen Rentenarten hinsichtlich der Einführung von Rentenabschlägen (weitgehend) gleich behandeln, weil es nicht an einem vernünftigen Grund für diese Gleichbehandlung fehlt, sondern - im Gegenteil - (mindestens) ein sachlich rechtfertigender Grund für die Gleichbehandlung gegeben ist.

Dabei ist zunächst festzustellen, dass - entgegen der Darstellung in der Berufungsbegründung - § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI hinsichtlich der Einführung von Rentenabschlägen keineswegs zu einer uneingeschränkten (vollkommenen) Gleichbehandlung der unterschiedlichen Rentenarten führt. Denn gemeinsam mit § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI ist durch das EM-ReformG auch § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI eingeführt worden. Diese Norm begrenzt die Minderung des Zugangsfaktors bei EM-Renten bei vorzeitiger Inanspruchnahme auf einen Abschlag von maximal 10,8% (entsprechend einem Zugangsfaktor von 0,892), weil bei einer (vorzeitigen) Inanspruchnahme der EM-Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres der vorzeitige Beginn mit der Vollendung des 60. Lebensjahres angenommen wird. In dieser Begrenzung des maximalen Rentenabschlags bei EM-Renten liegt aber ein wesentlicher Unterschied zu der von der Klägerin in den Vordergrund gerückten AR wegen Arbeitslosigkeit. Denn bei der AR wegen Arbeitslosigkeit ist eine solche Begrenzung des maximalen Abschlags nicht vorgesehen. Dort kann deshalb der Abschlag bei der frühestmöglichen Inanspruchnahme der Rente (Vollendung des 60. statt Vollendung des 65. Lebensjahres) maximal 18% betragen (5 x 12 x 0,003 = 0,18) (BT-DS 14/4230, S. 23, 24; vgl. nochmals: Die Erwerbsminderungsrente, a. a. O., S. 18, 96; Schmitz, a. a. O., S. 140-142; Wenner, Kein schutzwürdiges Vertrauen auf gesetzliche Übergangsregelungen, Soziale Sicherheit 2004, S. 177, 178). - Mit dem EM-ReformG hat der Gesetzgeber daher entgegen der Berufungsbegründung der Klägerin keine vollständige Angleichung/Gleichbehandlung der EM-Renten an die (z. B.) AR wegen Arbeitslosigkeit vorgenommen. Vielmehr stellt die Begrenzung des maximalen Abschlags eine Differenzierung dar, die sich zugunsten der EM-Berechtigten
auswirkt. Dies gilt im Übrigen gerade auch für die Klägerin, die im Jahre 1960 geboren ist und die bei dem vorliegend in Rede stehenden Rentenbeginn am 1. März 2003 weder das 60. noch auch nur das 44. Lebensjahr vollendet hatte.

Unterschiede bei der Einführung von Rentenabschlägen zwischen den EM-Renten einerseits und den Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit andererseits bestehen darüber hinaus insoweit, als dass nicht nur die maximale Rentenabschlagshöhe, sondern auch die Kompensationsregelungen sowie die vorgesehenen Übergangsphasen zur Einführung der Rentenabschläge bei beiden Rentenarten unterschiedlich geregelt sind. Auf den diesbezüglichen, weitgehend zutreffenden Vortrag der Klägerin aus der Berufungsbegründungsschrift nimmt der Senat Bezug. - Auch an diesen Unterschieden zeigt sich, dass der Gesetzgeber des EM-ReformG keineswegs "willkürlich" eine (vollständige) Gleichheit bei der Einführung der Rentenabschläge vorgenommen, sondern zwischen den Rentenarten - zum Teil sehr detailliert - unterschieden hat.

Als diejenige von der Klägerin gerügte Gleichbehandlung der unterschiedlichen Rentenarten in § 77 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, die eine vollständige Gleichbehandlung darstellt, bleibt daher maßgeblich nur die Einführung eines Abschlags bei vorzeitiger Renteninanspruchnahme als solcher (die durch das EM-ReformG mit § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI auf die EM-Renten ausgedehnt wurde).

Für diese Einführung fehlt es jedoch nicht an einem vernünftigen Grund. Vielmehr ist - im Gegenteil - (mindestens) ein sachlich rechtfertigender Grund für die Gleichbehandlung gegeben. Er ergibt sich aus der Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung seit Anfang der 90er Jahre.

Bereits zum 1. Januar 1992 war die Einführung von Rentenabschlägen bei vorzeitiger Inanspruchnahme bei der AR wegen Arbeitslosigkeit erfolgt, und zwar durch das Rentenreformgesetz 1992 (RRG 92). Damit konnten arbeitslose Versicherte zwar - bei Erfüllung der weiteren persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der § 38 a. F. bzw. 237 SGB VI - nach wie vor vorzeitig die AR wegen Arbeitslosigkeit in Anspruch nehmen, hatten hierbei jedoch mit Rentenabschlägen in Höhe von bis zu 18% zu rechnen, nämlich 0,3% für jeden vor Vollendung des 65. Lebensjahres gelegenen Inanspruchnahmemonat. Durch das spätere Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) vom 1. Januar 1997 wurde diese Altersgrenzen anhebung mit einhergehendem Rentenabschlag vorgezogen und beschleunigt. Folge dieses Vorziehens und Beschleunigens der Altersgrenzenanhebung durch das WFG war, dass die Altersgrenzenanhebung und die damit möglichen Rentenabschläge bereits ab dem Jahre 2000 wirksam wurden. Ausgehend von dieser Gesetzeslage hat der Gesetzgeber des EM-ReformG im Jahre 2000 die Einschätzung getroffen, dass viele Versicherte, die sowohl erwerbsgemindert waren (und sind) als auch die Voraussetzungen einer AR wegen Arbeitslosigkeit erfüll(t)en, wegen der dort drohenden Rentenabschläge nicht die AR wegen Arbeitslosigkeit, sondern die EM-Rente in Anspruch nehmen würden, weil dort ein Rentenabschlag bislang nicht vorgesehen war. Der Gesetzgeber befürchtete deshalb "Ausweichreaktionen" der Berechtigten der AR wegen Arbeitslosigkeit auf die Renten wegen EM und bezog sich dabei auf entsprechendes statistisches Material der Renteninanspruchnahmen in den zurückliegenden Jahren. Dies ergibt sich ausdrücklich aus der Gesetzesbegründung zum EM-ReformG in BT-DS 14/4230, S. 26, 23, 24.

Dieses Ziel der Vermeidung von Ausweichreaktionen von rentenberechtigten Versicherten von der AR wegen Arbeitslosigkeit auf die EM-Renten ist ein sachlich rechtfertigender Grund für die Gleichbehandlung der beiden Rentenarten bezüglich der Einführung von Rentenabschlägen in § 77 Abs. 2 Satz 1 SGB VI. Denn ohne die Maßnahme des EM-ReformG, also ohne die Erstreckung der Rentenabschläge auch auf die EM-Renten in § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI, wären sowohl die Altersgrenzenanhebung des RRG 92 als auch das Vorziehen und Beschleunigen dieser Anhebung im WFG (1997) in ihrer Wirkung gefährdet gewesen. Auf diese Gefährdungslage hatte nicht nur bereits der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum RRG 92 hingewiesen (BR-DS 120/89, S. 8). Die Vermeidung dieser Gefährdung war auch notwendig, weil die gesetzgeberischen Maßnahmen im RRG 92 und im WFG (1997) ihrerseits dringend geboten waren, um die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung sicherzustellen. Denn - worauf bereits seinerzeit in zahlreichen, auch höchstrichterlichen Entscheidungen sowie vielfach in der Fachliteratur immer wieder hingewiesen worden war - das gesetzliche Rentenversicherungssystem stand ab Anfang der 90-er Jahre vor einer erheblichen Belastung durch eine sich stetig steigernde Inanspruchnahme der AR wegen Arbeitslosigkeit im Zusammenhang mit der damals betriebenen - und von vieler Seite für rechtsmissbräuchlich erachteten - Frühverrentungspraxis der in Deutschland ansässigen Unternehmen. Diese Frühverrentungspraxis führte dazu, dass die Ausgaben der deutschen Rentenversicherer in unvorhergesehenem Ausmaß stiegen und die Beitragseinnahmen entsprechend sanken. Denn einen erheblichen Anteil an dieser Entwicklung hatten die ARen wegen Arbeitslosigkeit, die im Rahmen der Frühverrentungspraxis in Anspruch genommen wurden. Hatte der Anteil der ARen wegen Arbeitslosigkeit am Gesamt-Rentenzugang 1980 noch ca. 8% betragen, war er bis 1994 auf ca. 21% angestiegen. Da mit diesen deutlich gestiegenen frühzeitigen Rentenzugängen gleichzeitig entsprechende Beitragsausfälle zu verzeichnen waren, betrug die zusätzliche Belastung der Rentenversicherungsträger allein im Kalenderjahr 1995 ca. 15 Milliarden DM (Nachweise zur ökonomischen Entwicklung bei: Binne, Verfassungsrechtliche Anmerkungen zur vorgesehenen Korrektur der Frühverrentungspraxis, Deutsche Rentenversicherung 1996, S. 145, 147). Nach der Gesetzesbegründung sollten daher mit dem Vorziehen der Altersgrenzenanhebung im WFG (1997) Einsparungen in Höhe von ca. 17 Milliarden DM bis 2003 erzielt werden (BT-DS 13/4336, S. 3; Ruland, Wie sollte der Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand rechtlich gestaltet werden?, Vortrag auf dem Deutschen Juristentag 1998 in Bremen, Veröffentlichung 62, K 33 ff.; Binne, a. a. O., S. 148; weitere Nachweise bei: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27.6.2002, L 1 RA 239/01). Dieses Vorziehen und Beschleunigen der Altersgrenzenanhebung im WFG (1997) war deshalb zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und Finanzierbarkeit des gesetzlichen Rentenversicherungssystems erforderlich und ist folgerichtig bereits mehrfach höchstrichterlich für verfassungsmäßig erachtet worden (5., 8. und 13. Senat des BSG, Urteile vom 5.8.2004, B 13 RJ 10/03 R, vom 25.2.2004, B 5 RJ 44/02 R, wie 5., 8. und 13. Senat: der erkennende Senat im Urteil vom 27.6.2002, L 1 RA 239/01; a. A. : BSG, 4. Senat, Urteil vom 28.10.2004, B 4 RA 42/02 R).

Die Erstreckung der Rentenabschläge auch auf die EM-Renten, durch die ein Ausweichen auf die EM-Renten verhindert werden sollte, wurde vom Gesetzgeber des EM-ReformG deshalb aus einem sachlich rechtfertigenden Grund vorgenommen.

Ob sich ein weiterer rechtfertigender Grund daraus ergibt, dass mit der Erstreckung der Rentenabschläge auf alle Rentenarten (vgl. § 77 Abs. 2 Satz 1 ? AR wegen Arbeitslosigkeit, EM-Renten, Erziehungsrenten, Hinterbliebenenrenten) eine rentensystematische Vereinheitlichung der Abgrenzung zwischen der früheren Renteninanspruchnahme einerseits und der Inanspruchnahme der Regel-Altersrente erst ab dem 65. Lebensjahres und damit ggf. eine stärkere Konzentration des gesetzlichen Rentenversicherungssystems auf das Kernrisiko der Regel-Altersrente stattfinden sollte oder ob sonstige sachliche Gründe gegeben sind, musste vom Senat daher nicht weiter verfolgt werden.

Das EM-ReformG verstößt daher nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.

Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin bewirkt die Erstreckung der Rentenabschläge auf die EM-Renten aber auch keine Verletzung des speziellen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (Benachteiligung wegen einer Behinderung).

Das Benachteiligungsverbot wegen einer Behinderung hat eine objektiv-rechtliche Schutz- sowie eine subjektive Abwehrfunktion. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG bezweckt die Stärkung der Stellung behinderter Menschen in Recht und Gesellschaft und enthält den Auftrag an den Staat, auf die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen hinzuwirken. Der Schutzbereich ist dann eröffnet, wenn ein Gesetz oder eine andere Maßnahme der öffentlichen Gewalt seine Regelung an eine Behinderung anknüpft und ein Behinderter dadurch benachteiligt wird (vgl. nur die Nachweise bei: Jarass in Jarass/Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 3, Rn. 105, 106, 108; Osterloh in Sachs, Kommentar zum Grundgesetz, 2. Aufl. 1999, Art. 3, Rn. 307, 311, 312).

Zwar ist der so festgelegte Schutzbereich des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG durch das EM-ReformG nicht unmittelbar betroffen, weil § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI die Regelung von Rentenabschlägen nicht an eine (bestimmte - konkrete - oder irgendwie geartete) Behinderung anknüpft (keine unmittelbare Anknüpfung). Eine Behinderung ist vielmehr in keiner Weise Tatbestandsmerkmal der Norm, weil an eine Rente wegen EM angeknüpft wird, die allein den rentenrechtlichen Begriff der Erwerbsminderung voraussetzt (zur eigenständigen Bedeutung des Behinderungsbegriffs bei Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vgl. nochmals Osterloh, a. a. O., Rn. 308, 309).

Nach nicht unumstrittener, aber wohl vorherrschender Meinung ist der Schutzbereich des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG aber auch dann betroffen, wenn die staatliche Regelung zwar tatbestandlich nicht unmittelbar an eine Behinderung, sondern an ein anderes Merkmal anknüpft, es bei dieser Anknüpfung aber - jedenfalls im Regelfall - ebenfalls zu einer Rechtsfolgenauslösung gerade gegenüber behinderten Menschen kommt (mittelbare Anknüpfung; vgl. Nachweise bei: Jarass, a. a. O., Rn. 108; Osterloh, a. a. O., Rn. 311).

Der Senat lässt offen, ob § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI eine mittelbare Anknüpfung an eine Behinderung bewirkt und damit der Schutzbereich des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG betroffen ist. Für eine solche mittelbare Anknüpfung dürften allerdings die - von der Berufungsbegründung in Bezug genommenen - rechtlichen Regelungen der §§ 43, 240 SGB VI n. F. sprechen, nach denen für eine EM erforderlich ist, dass der Versicherte zu bestimmten Erwerbstätigkeiten nicht mehr in der Lage ist und dies gerade (jedenfalls auch) auf einer Behinderung beruhen muss. (Dass die EM nach denselben Vorschriften auch alternativ
aufgrund einer Krankheit eintreten kann, soll hier unerörtert bleiben).

Selbst im Fall des Betroffenseins des Schutzbereichs des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG durch eine mittelbare Anknüpfung liegt jedoch ein Verstoß gegen den Grundrechtstatbestand nicht vor.

Dabei ist zunächst klarzustellen, dass Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG kein originäres subjektives Leistungsrecht begründet (vgl. nur die Nachweise bei: Osterloh, a. a. O., Rn. 305). Die Klägerin kann daher den von ihr geltend gemachten Anspruch auf abschlagsfreie Rentenzahlung nicht als konkretes Leistungsbegehren auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG stützen.

Der Schutzbereich des speziellen Gleichheitsgrundrechts kann daher nur in seiner Abwehrfunktion und deshalb nur dadurch betroffen sein, dass Menschen mit Behinderungen durch § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI aufgrund dieser Behinderungen benachteiligt werden und dieser Nachteil nicht grundrechtlich gerechtfertigt ist. Für eine grundrechtliche Rechtfertigung bei Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ist dabei erforderlich (und ausreichend), dass eine sorgfältige Prüfung, Abwägung und Begründung der benachteiligenden Maßnahme, bei einem Gesetz also im Gesetzgebungsverfahren, erfolgt, ist (vgl. die Nachweise zur Rechtsprechung auch des BVerfG bei: Osterholz, a. a. O., Rn. 315, 317; Jarass, a. a. O., Rn. 110).

Im Fall einer - unterstellten - mittelbaren Betroffenheit des Schutzbereichs des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ist bereits zweifelhaft, ob das EM-RefomG einen Nachteil für behinderte Menschen herbeigeführt hat. Diese Zweifel ergeben sich zum Einen daraus, dass die von der Regelung betroffene Rentenart als solche, die EM-Rente, keinen Nachteil für behinderte Menschen darstellt, sondern gerade zur Entlastung bei etwaig bestehenden Behinderungen führt. Zum Zweiten darf nicht verkannt werden, dass die im Gesetz vorgesehenen Rentenabschläge - neben der Abschwächung ihrer Auswirkungen durch Übergangszeiten und Kompensationsregelungen - nur unterhalb einer maximalen Obergrenze (von 10,8%) wirksam werden können, und diese Grenze des EM-ReformG keinen Nachteil, sondern im Gegenteil einen Vorteil der EM-Rentner gegenüber den Berechtigten etwa der AR wegen Arbeitslosigkeit darstellt.

Selbst wenn man aber einen durch das EM-ReformG herbeigeführten Nachteil für behinderte Menschen darin erkennen will, dass nunmehr auch bei EM-Renten Rentenabschläge eingeführt worden sind, die zuvor nicht vorgesehen waren, ist aus der Gesetzesbegründung zum EM-ReformG erkennbar, dass eine sorgfältige Prüfung, Abwägung und Begründung der benachteiligenden Maßnahme im Gesetzgebungsverfahren stattgefunden hat. Der Senat verweist dazu (erneut und ausdrücklich) auf BT-DS 14/4230, S. 23 ff.

Das EM-Reform-G verstößt daher weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen das spezielle Gleichheitsrecht des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG.

Das EM-Reform-G verstößt aber auch nicht gegen das Eigentumsgrundrecht der Klägerin oder der anderen, von diesem Gesetz betroffenen Versicherten aus Art. 14 GG, und zwar auch nicht durch eine Missachtung des auch vom Gesetzgeber zu berücksichtigenden Vertrauensschutzes von Normadressaten (zum Vertrauensschutz als Teil der Anforderungen an Inhalts- und Schrankenbestimmungen und damit Einbindung in Art. 14 GG bei der rechtlichen Prüfung vgl. nur: BSG, Entscheidung vom 16.12. 1999, B 4 RA 18/99 R, soziale Sicherheit 2000, S. 289, 294 m. N. Zur Rechtsprechung des BVerfG).

Dabei lässt der Senat - zugunsten der Klägerin - unentschieden, ob die gesetzliche Gewährung ("Zusage") einer ungeminderten (abschlagsfreien) Rente überhaupt zur eigentumsgrundrechtlich geschützten Rentenanwartschaft zählen kann und ob dies auch bei EM-Renten gelten, würde (zum Diskussionsstand: Wenner, a. a. O., S. 178) (ebenso und ausdrücklich offen gelassen: Beschluss des BVerfG vom 3.2.2004, 1 BvR 2491/97, mit dem das BVerfG die Annahme einer gegen das Vorziehen und Beschleunigen der Altersgrenzenanhebung bei der AR wegen Arbeitslosigkeit gerichtete Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung abgelehnt hat). Denn selbst wenn eine ursprüngliche gesetzliche Regelung eines abschlagsfreien Zahlbetrages vom Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG erfasst wäre, würde - ebenso das BVerfG im o. g. Beschluss - der durch die Einführung der Rentenabschläge herbeigeführte Eingriff den Grenzen der Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG genügen:

Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG darf der Gesetzgeber Inhalt und Schranken des Eigentums näher bestimmen und eingrenzen, soweit Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dies rechtfertigen (vgl. nur: BVerfGE 72, 9, 23). Eine solche Inhalts- und Schrankenbestimmung hat der Gesetzgeber vorliegend mit dem EM-ReformG vorgenommen. Dabei war das Gesetz sowohl aus Gründen des öffentlichen Interesses geboten als auch verhältnismäßig.

Zu den Gründen des öffentlichen Interesses wird auf die vorstehend zu Art. 3 Abs. 1 GG dargelegte Entwicklung des gesetzlichen Rentenversicherungssystems seit Anfang der 90er Jahre, die Erforderlichkeit der Einführung und des Vorziehens und Beschleunigens der Altersgrenzenanhebung bei der AR wegen Arbeitslosigkeit sowie auf die Notwendigkeit der Vermeidung von Ausweichreaktionen bei der Inanspruchnahme der EM-Renten Bezug genommen. Der dort bei Art. 3 Abs. 1 GG sachlich rechtfertigende Grund ist gleichzeitig ein Grund öffentlichen Interesses im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.

Das EM-ReformG war (und ist) aber auch verhältnismäßig. Dies ergibt sich namentlich daraus, dass es - worauf bereits hingewiesen wurde - eine Begrenzung der maximalen Rentenabschlagshöhe (auf 10,8%) vorsieht, eine Übergangsregelung bis zur vollen Wirksamkeit der Rentenabschläge beinhaltet und Kompensationsregelungen einführt, die in zeitlichem Gleichschritt mit den hinzunehmenden Abschlägen einen Ausgleich ermöglichen (zu den Kriterien der Übergangszeit und der Kompensationsmaßnahmen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit: vgl. nur: BVerfG vom 15.3.2000, a. a. O., S. 2733; BVerfGE 72, 9, 23; BSG vom 16.12.1999, a. a. O., S. 294):

Die Einführung von Abschlägen bei den EM-Renten durch das EM-ReformG erfolgte unter begleitender Regelung eines Übergangszeitraums. Diese Übergangszeit erstreckt(e) sich vom 1. Januar 2001 bis zum 31. Dezember 2003, sodass der maximal mögliche Rentenabschlag von 10,8% frühestens bei einem Rentenbeginn im Dezember 2003 eintreten konnte (und kann) (§ 264 c SGB VI) (vgl. nur: Die Erwerbsminderungsrente - Grundsätze der gesetzlichen Rentenversicherung, Deutsche Rentenversicherung 2002, S. 97; Schmitz, a. a. O., S. 141). Daneben sah (und sieht) das EM-ReformG neben der Einführung von Rentenabschlägen auch Kompensationsmöglichkeiten vor. So wurde bis dahin bei vorzeitiger Renteninanspruchnahme nur die Zeit bis zum 55. Lebensjahr zu 1/1 und die Zeit danach (bis zum 60. Lebensjahr) lediglich zu 1/3 bzw. 2/3 als Zurechnungszeit anerkannt. Durch das EM-ReformG wird die berücksichtigungsfähige Zurechnungszeit nun über das 55. Lebensjahr hinaus bis zum 60. Lebensjahr zu 1/1 als Zurechnungszeit zugrunde gelegt. Dabei wird diese Ausgleichswirkung - ebenso wie die Einführung der Rentenabschläge als solche - erst in einem Übergangszeitraum voll wirksam, der ebenfalls - wie die Abschläge - im Dezember 2003 endet (§ 253 a SGB VI) (vgl. nur: Die Erwerbsminderungsrente - Grundsätze der gesetzlichen Rentenversicherung, Deutsche Rentenversicherung 2002, S. 97).

Durch diese Übergangs- und Kompensationsregelungen ist auch der Vertrauensschutz der Versicherten beachtet. Hinzu kommt, dass der Eigentumsschutz nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG grundsätzlich keinen Schutz gegen Gesetzesänderungen gewähren kann, vielmehr müssen solche Änderungen ausdrücklich möglich bleiben, um notwendige Anpassungen an etwaige Veränderungen in der vom Gesetz betroffenen Regelungsmaterie vornehmen zu können (BSG vom 16.12.1999, a. a. O., S. 293 m. N. z. Rspg. d. BVerfG).

Mangels Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 und 14 GG vermag der Senat eine Verfassungswidrigkeit des EM-ReformG in dem dort vorgesehenen § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI nicht zu erkennen und ist daher auch nicht zur Aussetzung des Rechtsstreits nach Art. 100 GG veranlasst.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

Die Revisionszulassung erfolgt gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

Referenznummer:

KSRE078680815


Informationsstand: 09.09.2005