Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Streitgegenstand ist die Gewährung der Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach § 236a
Abs. 2
SGB VI ab 01.11.2008
bzw. 01.01.2009. Im Antrag vom 06.10.2009 sprach der Kläger zwar insbesondere davon, den Rentenbeginn der Altersrente später festzusetzen. Die Beklagte hat jedoch eine interessensgerechte Auslegung dieses Antrags vorgenommen, indem sie in dem streitgegenständlichen Bescheid und Widerspruchbescheid geprüft hat, ob dem Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen gezahlt werden kann.
1. Das Sozialgericht und die Beklagte haben zutreffend einen Anspruch des Klägers auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 01.11.2008 abgelehnt.
Nach § 236a
Abs. 1
SGB VI haben Versicherte, die vor dem 1. Januar 1964 geboren sind, frühestens Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen, wenn sie
1. das 63. Lebensjahr vollendet haben,
2. bei Beginn der Altersrente als schwerbehinderte Menschen (
§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch) anerkannt sind und
3. die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben.
Versicherte, die vor dem 01.01.1952 geboren sind, haben nach
Abs. 2 Anspruch auf diese Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres; für sie ist die vorzeitige Inanspruchnahme nach Vollendung des 60. Lebensjahres möglich.
Nach Absatz 3 haben Versicherte, die vor dem 01.01.1951 geboren sind, unter den Voraussetzungen nach
Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 und 3 auch Anspruch auf diese Altersrente, wenn sie bei Beginn der Altersrente berufsunfähig oder erwerbsunfähig nach dem am 31.12.2000 geltenden Recht sind.
Grundsätzlich hätte der am 24.09.1946 geborene Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen bereits ab dem 60. Lebensjahr, also ab Oktober 2006, in Anspruch nehmen können.
Die Wartezeit von 35 Jahren wäre unstrittig bereits am 01.11.2008 erfüllt gewesen.
Allerdings war der Kläger zu diesem Zeitpunkt weder als schwerbehinderter Mensch nach § 2
Abs. 2
SGB IX anerkannt noch berufs-
bzw. erwerbsunfähig nach dem am 31.12.2000 geltenden Recht.
1.1 Beim Kläger ist die Schwerbehinderung (
GdB 50) aufgrund Vergleichs vom 17.09.2009 im Verfahren S 6 SB 169/08 und nachfolgendem Bescheid des
ZBFS vom 22.10.2009 erst ab 11.12.2008 festgestellt worden. Nach § 99
Abs. 1
SGB VI wird die Rente von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind - also frühestens ab 01.01.2009, wenn die Rente - wie hier - bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind.
Da §§ 37
bzw. 236a
SGB VI auf die Anerkennung der Schwerbehinderung abstellt, kommt es auf die Feststellung durch die zuständige Behörde an (
vgl. Gürtner: in Kasseler Kommentar, § 37
SGB VI, Rn. 5). Die Beklagte oder das Gericht haben im vorliegenden Verfahren nicht selbst zu prüfen, ab wann die Schwerbehinderung nach § 2
Abs. 2
SGB IX vorliegt.
Der Prozessbevollmächtigte kann daher mit dem Vortrag, der Vergleich sei unrichtig und die Schwerbehinderung objektiv bereits früher eingetreten, hier nicht zum Ziel kommen. Eine Korrektur des Bescheids durch das
ZBFS ist nicht behauptet worden. Sie erscheint im Übrigen auch nicht inhaltlich angebracht, da das vorgelegte Gutachten des
Dr. L. einen früheren Eintritt der Schwerbehinderung als zum Zeitpunkt seiner Untersuchung gerade nicht mit der erforderlichen Sicherheit begründen kann.
1.2 Der Kläger ist auch nicht bei dem gewünschten Beginn der Altersrente am 01.11.2008 berufsunfähig oder erwerbsunfähig nach dem am 31.12.2000 geltenden Recht gewesen.
Nach § 44
Abs. 2
SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (im Folgenden:
SGB VI a. F.) waren Versicherte erwerbsunfähig, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande waren, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630 Deutsche Mark überstieg; erwerbsunfähig waren auch Versicherte, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein konnten.
Erwerbsunfähig war nicht, wer
1. eine selbstständige Tätigkeit ausübte oder
2. eine Tätigkeit vollschichtig ausüben konnte; dabei war die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Berufsunfähig waren Versicherte nach § 43
Abs. 2
SGB VI a. F., deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken war. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasste alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprachen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden konnten. Zumutbar war stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig war nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben konnte; dabei war die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Ausgangspunkt für die Prüfung der Berufsunfähigkeit ist der bisherige Beruf des Versicherten. Darunter ist nach der Rechtsprechung des
BSG regelmäßig diejenige versicherungspflichtige Tätigkeit zu verstehen, die zuletzt auf Dauer,
d. h. mit dem Ziel verrichtet wurde, sie bis zum Eintritt der gesundheitlichen Unfähigkeit oder bis zum Erreichen der Altersgrenze auszuüben; in der Regel ist das die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, jedenfalls wenn sie die qualitativ höchste ist. Kann der bisherige Beruf nicht mehr ausgeübt werden, hängt der Rentenanspruch davon ab, ob es zumindest eine Tätigkeit gibt, die sozial zumutbar ist und gesundheitlich wie fachlich noch bewältigt werden kann.
Der Eintritt von Erwerbsunfähigkeit
bzw. Berufsunfähigkeit vor dem 01.11.2008 ist nicht nachgewiesen.
Dr. C. hat vielmehr nachvollziehbar in seinem Gutachten und in der im Berufungsverfahren eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 05.05.2015 ausgeführt, dass der Kläger vor November 2008 zwar nicht mehr als Lkw-Fahrer, aber noch in der Tätigkeit als Berater der Geschäftsleitung, Registrator und Mitarbeiter einer Poststelle achtstündig täglich leistungsfähig war. Dabei berücksichtigt er zutreffend eine gängige arbeitsergonomische Anpassung des Arbeitsfelds und die Möglichkeit zu kurzen Haltungswechseln und Entspannungsübungen im Rahmen der sog. persönlichen Verteilzeiten.
Die Tätigkeit der Beratung der Geschäftsleitung, die der Kläger zuletzt ausgeübt hat, aber auch die Tätigkeit eines Registrators, die auch als Verweisungstätigkeit für einen Facharbeiter in Betracht kommt (
vgl. Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25.09.2012, L 13 R 6087/09, Urteil des Senats vom 06.10.2010 - L 13 R 569/09 und vom 19.02.2015 - L 13 R 600/14, alle in juris) waren dem Kläger sozial zumutbar. Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers meint, dass diese Berufe wegen des zu vermeidenden Hebens und Tragens von Lasten über 10
kg nicht in Betracht kämen, so ergibt sich aus der vom Senat zugrunde gelegten berufskundlichen Stellungnahme zur Registraturkraft (s. Regionaldirektion Bayern vom 20.04.2005, S 8 RJ 750/02), dass nur ein Einzelfällen das Heben und Tragen von Lasten bis zu 5
kg erforderlich sind. Lasten von über 10
kg sind nicht regelmäßig zu heben oder zu tragen, insbesondere auch deshalb, weil dem Registrator Hilfsmittel wie insbesondere Aktenwägen zur Verfügung stehen (
vgl. auch Urteil des 1. Senats vom 28.04.2010, L 1 R 807/09, juris).
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Rente für schwerbehinderte Menschen ab 01.01.2009.
Auch wenn zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 236a
SGB VI erfüllt wären, so steht der Gewährung von Altersrente für schwerbehinderte Menschen die Regelung des § 34
Abs. 4
SGB VI entgegen.
§ 34
Abs. 4
SGB VI in der ab 01.01.2008 geltenden - hier anwendbaren - Fassung lautet:
"Nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters oder für Zeiten des Bezugs einer solchen Rente ist der Wechsel in eine
1 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2. Erziehungsrente oder
3. andere Rente wegen Alters
ausgeschlossen."
Hier wird der Wechsel in eine andere Art der Altersrente durch beide Ausschlussgründe gehindert:
Der Kläger hat die Altersrente wegen Altersteilzeit bereits ab 01.11.2008 tatsächlich bezogen. Für Zeiten des Bezugs einer Rente ist der Wechsel in eine andere Art der Altersrente ausgeschlossen.
Der zweite Ausschlussgrund "für Zeiten des Bezugs einer solchen Rente" wurde erst durch das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl 2007 I,
S. 554) mit Wirkung ab 01.01.2008 eingefügt. Hintergrund dafür war laut Gesetzesbegründung (BTDrucks 2/07
S. 84):
"Durch die Änderung soll sichergestellt werden, dass der Wechsel von einer Altersrente in eine andere Rente auch dann ausgeschlossen ist, wenn bereits eine Altersrente bezogen wird und zu einem späteren Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Erziehungsrente oder eine andere Altersrente erfüllt werden. Nach der geltenden Regelung greift der Ausschluss des Wechsels in den Fällen nicht, in denen durch Einlegung eines Rechtsbehelfs der Rentenbescheid noch nicht bindend geworden ist. Nicht betroffen von der jetzt vorgesehenen Änderung ist der Anspruch auf eine andere Rente, wenn diese vor oder gleichzeitig mit der Altersrente beginnt, etwa weil das Vorliegen von Schwerbehinderung erst nachträglich festgestellt worden ist. In diesen Fällen liegt - wie schon nach geltendem Recht - kein Wechsel vor."
Auf Auslegungsfragen zur Reichweite des zweiten Ausschlussgrunds (
vgl. Urteil des 20. Senats des BayLSG vom 20.07.2011 -
L 20 R 259/11) kommt es hier allerdings nicht entscheidend an, weil bereits der erste Ausschlussgrund (Bestandskraft des Altersrentenbescheids) gegeben ist.
Der Kläger hat gegen den Bescheid vom 20.11.2008, mit dem ihm Altersrente nach Altersteilzeit ab 01.11.2008 gewährt worden ist, keinen Widerspruch erhoben. Der Bescheid ist damit bestandskräftig geworden (§ 77
SGG), es liegt also eine "bindende Bewilligung" der Altersrente wegen Altersteilzeit vor.
In dem Antrag vom 15.10.2009 kann wegen Ablaufs der Widerspruchsfrist kein Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.11.2008 gesehen werden. Zu diesem Zeitpunkt konnte der Bescheid vom 20.11.2008 auch nicht mehr durch eine Rücknahme des Antrags auf Altersrente wegen Altersteilzeit gegenstandslos (
bzw. nichtig) werden. Die Rücknahme kann nur bis zur Unanfechtbarkeit eines Verwaltungsakts erklärt werden (
vgl. BSG SozR-2500 § 50
Nr. 3 = Urteil vom 09.08.1995, 13 RJ 43/94; Mutschler in Kasseler Kommentar, § 18
SGB X, Rn. 8a; Kreikebohm,
SGB VI, § 115 Rn. 19). Eine Auslegung als Verzicht auf die Altersrente wegen Altersteilzeit hätte weder an der Bestandskraft des Bewilligungsbescheids noch - nach Auslegung des Fachausschusses der DRV für Versicherung und Rente (AGFAVR 1/2007, TOP2; zitiert im Beck´schen Online-Kommentar zu § 34, Rb. 23ff) an dem grundsätzlich bestehenden Rentenbezug etwas geändert; ein Verzicht sei danach nur auf die Auszahlung der Rente möglich, der Anspruch bleibe auch bei einem Verzicht dem Grunde nach bestehen.
Ein Antrag nach § 44
SGB X auf Rücknahme des Rentenbescheids über die Gewährung der Altersrente wegen Altersteilzeit berührt die Bestandskraft des Bescheides vom 20.11.2008 nicht und ist im Übrigen schon deshalb nicht begründet, weil insoweit keine rechtlichen Fehler ersichtlich sind oder behauptet werden. Im Übrigen handelt es sich bei dem Bescheid vom 20.11.2008 um einen begünstigenden Verwaltungsakt, dem allein eine Regelung zur Altersrente wegen Altersteilzeit und keine belastende über die Altersrente wegen Schwerbehinderung entnommen werden kann.
Gegen die Regelung des § 34
Abs. 4
SGB VI bestehen nach Überzeugung des Senats keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch das
BSG hat in seiner Entscheidung vom 26.07.2007 -
B 13 R 44/06 R keine derartigen Bedenken zu der seit 01.08.2004 geltenden Regelung (kein Wechsel in eine andere Altersrente nach bindender Bewilligung) geäußert.
Im Übrigen teilt der Senat die grundsätzlichen Ausführungen im Urteil des 20. Senats des BayLSG vom 20.07.2011 (L 20 R 259/11) und vom 17.08.2011 (L 20 R 548/10, juris) zur Verfassungsmäßigkeit des § 34
Abs. 4
SGB VI. Dort wird überzeugend darauf hingewiesen, dass mit der Regelung des § 34
Abs. 4
SGB VI in geeigneter und verhältnismäßiger Weise der Zweck verfolgt wird, die Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung zu stabilisieren und die Funktionsfähigkeit des Systems zu gewährleisten. Entschließt sich ein Versicherter, Rente zum denkbar frühesten Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen, der gesetzlich möglich ist, hat er aufgrund der damit - zumindest statistisch - zu erwartenden längeren Rentenlaufzeit idR erhebliche Rentenabschläge in Kauf zu nehmen. Dass die Rentenabschläge, die § 77
SGB VI vorsieht, als solche nicht verfassungswidrig sind, hat das Bundesverfassungsgericht (
BVerfG) mehrfach entschieden (
vgl. zuletzt
BVerfG Beschluss vom 11.01.2011 - 1 BvR 3588/08 und 1 BvR 555/09). Mit der Regelung des § 34
Abs. 4
SGB VI soll sichergestellt werden, dass ein Versicherter an seine Entscheidung, sich vorzeitig aus dem Erwerbsleben zurückzuziehen, gebunden bleibt. Denn die Rentenlaufzeit verkürzt sich nicht durch den bloßen Wechsel in eine andere Rentenart wegen Alters (
vgl. 20. Senat BayLSG,
a. a. O.). § 34
Abs. 4
SGB VI soll damit Dispositionen zulasten der Versichertengemeinschaft ausschließen (
vgl. auch
LSG Rheinland-Pfalz vom 12.08.2015 - L 6 R 114/15).
Der Senat sieht insbesondere deshalb keinen Verstoß gegen
Art. 14
GG, da es der Kläger selbst in der Hand hat, den Zeitpunkt des vorzeitigen Altersrentenbezugs zu bestimmen.
Für den Zuwachs an individueller Freiheit im Alter hat er die dauerhafte Rentenkürzung für den früheren Renteneintritt in Kauf zu nehmen (
vgl. LSG Rheinland-Pfalz vom 12.08.2015, L 6 R 114/15).
Der Kläger konnte sich vor der Anerkennung des
ZBFS nicht darauf verlassen, dass die Schwerbehinderung bereits auf den 01.11.2008 (
bzw. auf einen Zeitpunkt davor) festgelegt würde. Ob und seit wann eine Schwerbehinderung besteht, liegt in der Risikosphäre des Klägers. Insoweit hätte der Kläger die Entscheidung des
ZBFS abwarten müssen, wenn es ihm gerade auf den höheren Bezug dieser Altersrente angekommen wäre.
3. Ein Anspruch des Klägers auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen ergibt sich auch nicht aus dem Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Der Kläger macht insoweit zu Unrecht geltend, nicht ausreichend aufgeklärt
bzw. falsch beraten worden zu sein.
Der soz. Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die ihm aufgrund Gesetzes oder eines konkreten Sozialrechtsverhältnisses dem Versicherten gegenüber bestehenden Pflichten insbesondere zur Auskunft und Beratung ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (
vgl. etwa BSGE 79, 168; 81, 251). Eine rechtswidrige Pflichtverletzung muss einen Nachteil des Versicherten bewirkt haben, wobei die verletzte Pflicht darauf gerichtet sein muss, gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren.
Aufklärungspflichten können insbesondere aus § 115
Abs. 6
SGB VI bzw. aus den allgemeinen Beratungspflichten resultieren.
Nach § 115
Abs. 6
SGB VI sollen die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen. Der Beklagten muss insofern erkennbar sein, dass eine umschriebene Gruppe von Versicherten durch die Antragstellung eine höhere Rente erlangt. Unter diesen Umständen hat das
BSG - als der Wechsel von einer Art der Altersrente zur anderen noch unbeschränkt möglich war - eine Hinweispflicht auf eine günstige Wechselmöglichkeit der Rentenart angenommen (
vgl. BSG vom 22.10.1998, B 5 RJ 62/97 R, juris).
In diesen Zusammenhang kann der letzte Satz der Beklagten im Schreiben vom 18.09.2008 eingeordnet werden, mit dem sie zur Mitteilung über die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft auffordert. Wenn der Beklagten der genaue Zeitpunkt des Eintritts der Schwerbehinderung bekannt wird, so kann eine Hinweispflicht nach § 115
Abs. 6
SGB VI angenommen werden - sofern der Anspruch auf die günstigere Rente wegen Schwerbehinderung klar erkennbar besteht; dies wäre der Fall, wenn die Schwerbehinderung für einen Zeitpunkt vor oder gleichzeitig mit Beginn der Altersrente wegen Altersteilzeit festgestellt würde. In einem Fall, in dem die andere Rente vor oder gleichzeitig mit der bindend festgestellten Rente beginnt, liegt nämlich kein Wechsel im Sinne des § 34
Abs. 4
SGB VI vor (
s. o.). Die Bitte um Mitteilung des Verfahrensausgangs im eigenen Interesse des Klägers kann daher nicht beanstandet werden. Eine Zusicherung ist damit nicht verbunden. Die Bitte der Beklagten kann auch von einem verständigen Laien nicht so verstanden werden, dass die Mitteilung dann auch zu positiven Folgerungen führen muss.
Bei den anderen Hinweisen im Schreiben vom 18.09.2008 ging es darum, den Kläger wegen der bereits erfolgten gleichzeitigen Beantragung mehrerer Altersrenten zu beraten. Beim Kläger bestand keine Unkenntnis über die Möglichkeit, einen Rentenantrag zu stellen, sondern über die Folgen einer vorzeitigen Bewilligung der Rente.
Insoweit kommt eine Beratungspflicht nach den allgemeinen Regelungen in Betracht. Eine Beratungspflicht nach § 14
SGB I besteht, wenn sich im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens ein konkreter Anlass ergibt, den Versicherten auf klar zutage liegende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und die jeder verständige Versicherte mutmaßlich nutzen würde (
vgl. BSGE 81, 251, 254).
Die Beratung muss grundsätzlich richtig, unmissverständlich und umfassend sein, so dass der Ratsuchende entsprechend disponieren kann (
vgl. BSGE 34, 124, 127).
Sie kann auch in Form von Merkblättern erfolgen, wenn ohne weiteres erkennbar ist, welche Gesichtspunkte von Bedeutung sind.
Um den Kläger in die Lage zu versetzen, eine selbstverantwortliche Entscheidung über den Rentenbeginn zu treffen, war die Beklagte jedenfalls verpflichtet, den Kläger auf die unterschiedliche Minderung der jeweiligen Altersrenten nach § 77
SGB VI und den grundsätzlichen Ausschluss der Wechselmöglichkeit nach bindender Bewilligung einer Altersrente hinzuweisen.
Dem hat sie nach Ansicht des Senats mit dem Schreiben vom 18.09.2008 ausreichend Rechnung getragen. Das Schreiben ist hinreichend übersichtlich und verständlich. Im Übrigen ist unter den Angabe "Auskunft erteilt" eine Telefonnummer der Beklagten für Nachfragen angegeben gewesen.
Der Kläger ist in dem Schreiben aufgeklärt worden, dass die Altersrente nach Altersteilzeit niedriger als die Rente wegen Schwerbehinderung sein würde. Soweit der Kläger erstmals am 11.02.2010 geltend gemacht hat, dass dem Schreiben die Probeberechnung nicht beigelegen habe, so erscheint die genaue Höhe der Differenz dem Senat nicht ausschlaggebend. Der Kläger hätte bei der Beklagten nachfragen und das
evtl. Fehlen einer Proberechnung monieren können, bevor er sich für eine Lösung entscheidet.
Der Kläger ist auch über die Bedeutung des anerkannten Zeitpunkts der Schwerbehinderung für den Beginn der Rente hingewiesen worden. Es werden die zwei möglichen Fallvarianten (Feststellung der Schwerbehinderung mit der Folge desselben Rentenbeginns wie für die festgestellte Altersrente
bzw. mit der Folge eines späteren Rentenbeginns) dargestellt. In dem Schreiben wird klar und in Fettdruck darauf hingewiesen, dass nach bindender Bewilligung einer Altersrente ein Wechsel in eine andere Art der Altersrente nicht mehr möglich ist. Es enthält auch den Hinweis, dass
z. B. bei Einlegung eines Widerspruchs der Bescheid über die erste Altersrente noch nicht bindend wird.
Insofern ist auch dem Kläger als Laien hinreichend deutlich vor Augen geführt worden, welche Folgen eine bindende Bewilligung haben kann. Etwas anderes ergibt sich auch nicht dadurch, dass die Antwortmöglichkeit 1 das Wort "zunächst" enthält. Im Zusammenhang mit dem aufklärenden Schreiben konnte der Kläger nicht darauf schließen, dass damit das Risiko eines Wechselausschlusses bei nachträglicher Feststellung der Schwerbehinderung ausgeräumt sei. Im Zweifelsfall hätte der Kläger die angebotene weitere Auskunftsmöglichkeit der Beklagten in Anspruch nehmen müssen.
Dass die Hinweise offenbar noch zum alten Recht formuliert worden sind, weil der Wechsel bei einem Widerspruch trotz Bezugs der Rente und unter Beachtung von § 77
Abs. 3
SGB VI als möglich dargestellt wird, schadet hier nicht. Der Kläger hat einen Widerspruch nicht eingelegt. Insofern braucht auch nicht überlegt werden, ob er im Fall eines Widerspruchs so behandelt werden müsste, wie im Schreiben dargestellt; die nicht mehr aktuelle Auskunft hat sich insoweit nicht ausgewirkt.
Die Hinweise der Beklagten sind auch nicht deshalb als unvollständig anzusehen, weil nicht alle denkbaren Gestaltungsmöglichkeiten dargelegt worden sind.
Der "Wechsel" zur Rente wegen Schwerbehinderung wäre - auch unter dem seit 01.01.2008 geltenden Recht - noch in Betracht gekommen, wenn der Kläger gegen den Bescheid vom 20.11.2008 Widerspruch eingelegt und bei späterer Feststellung der Schwerbehinderung den Antrag auf Altersrente wegen Altersteilzeit zurückgenommen hätte (
vgl. AGFAVR 1/2007, TOP2,
a. a. O.) - allerdings um den Preis, die bereits bezogene Altersrente wegen Altersteilzeit bis zum Eintritt der Schwerbehinderung zurückzahlen zu müssen.
Die Beklagte war aber nicht verpflichtet, auf diese Möglichkeit hinzuweisen. Dass der Versicherungsträger auf Gestaltungsmöglichkeiten hinweisen muss, die klar zu Tage liegen und erkennbar sind, darf nicht dahin verstanden werden, dass der Versicherungsträger wie ein Rechtsberater den Versicherten schlechterdings auf alle aus den Vorschriften des Gesetzes zu ziehenden Vorteile aufmerksam machen muss. Sinn der Beratungspflicht ist es, dem Versicherten in der Erlangung seiner Rechte beizustehen. Der Versicherungsträger muss weder auf Möglichkeiten des Rechtsmissbrauchs noch auf solche Gestaltungsmöglichkeiten hinweisen, die zwar keinen Rechtsmissbrauch bedeuten, die der Gesetzgeber jedoch vom Bürger nicht ohne weiteres erwartet. Ein solcher Fall ist etwa gegeben, wenn das Tätigwerden den mit der Gesetzesänderung angestrebten Erfolg beeinträchtigt (
vgl. BSG 55, 257, 260 = Urteil vom 18.08.1983, 11 RA 40/82, juris).
Der Senat sieht diese Grenze der Beratungspflicht hier erreicht. Mit der Regelung des § 34
Abs. 4
SGB VI soll gerade erreicht werden, dass es im Regelfall bei der einmal gewährten Altersrente bleibt. Es ist nicht Aufgabe des Versicherungsträgers zur Einlegung eines Widerspruchs allein zum Zweck der Umgehung der Bindungswirkung zu raten. Der Versicherte soll durch die Aufklärung im Vorhinein überlegen, ob er die Zeit bis zum Beginn der günstigeren Renten überbrücken kann und will. Die Beklagte muss ihm aber nicht erklären, wie er sich die Überlegungsfrist möglichst lange offenhalten kann. Es handelt sich dabei nicht um eine offensichtlich naheliegende Handlungsoption.
Nach alledem ist die Berufung unbegründet. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG und berücksichtigt, dass der Kläger in der Berufungsinstanz erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160
Abs. 2
SGG), liegen nicht vor. Der Senat legt seiner Bewertung die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde.